20.11.2013 Aufrufe

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Zur Entstehung von kastom als Lebensform & Ideologie<br />

Kastom ist, mit anderen Worten, nicht bloß das Festhalten an einer tatsächlichen<br />

oder angenommenen „traditionellen“ Kultur, sondern wird selbst zu einer Ideologie,<br />

die Kultur aktiv gestaltet. Somit bezeichnet kastom zunächst das Betonen,<br />

genauso aber auch das Neudefinieren bzw. Erfinden einer eigenen regionalen<br />

aber auch überregionalen melanesischen Identität. 26 Dabei werden fremde Einflüsse<br />

nicht durchweg abgelehnt, wie dies etwa bei einem religiösen Fundamentalismus<br />

der Fall wäre, sondern bestimmte, in den Augen der Agierenden nicht<br />

im Widerspruch zum „Eigenen“ stehende Elemente anderer Religionen und Kulturen<br />

kreativ in das eigene System integriert. 27 Joel Bonnemaison, einer der besten<br />

Kenner Melanesiens im Allgemeinen und Vanuatus im Besonderen berichtet,<br />

er habe einmal einen hochrangigen kastom Mann gefragt, was kastom denn<br />

eigentlich genau sei. Die schlaue und selbstbewußte Antwort war: „Ich bin kastom“<br />

(Bonnemaison 1996:202). Dem Ethnologen fällt es in Zeiten der „Repräsentationskrise“<br />

durchaus schwer, dem noch viel hinzuzufügen. Trotzdem meine<br />

ich: wenn er seine Aufgabe als Kulturvermittler ernst nimmt, muß er sich dieser<br />

Herausforderung stellen. 28<br />

Fragen wir uns also wenigstens, wie es überhaupt dazu kommen konnte, daß in<br />

Südpentecost eine so ausgeprägte kastom Bewegung entstanden ist, die bis heute<br />

Bestand hat. Ich behaupte, daß im wesentlichen drei miteinander eng zusammenhängende<br />

Gründe für diese Entwicklung verantwortlich sind: Erstens nahmen<br />

die Beziehungen zwischen europäischen Eindringlingen und Einheimischen<br />

26 Vgl. Akin 2004; de Burlo 1996; Maas 1994a; Jolly 1994a; 1994b; Tonkinson 1982; Hobsbawm<br />

1983.<br />

27 Vgl. hierzu die Überlegungen von Ulrich Berner zum Synkretismus auf der „Element-<br />

Ebene“. Im Fall der Sa haben wir es m.E. v.a. mit „Identifikationen“, „äquivalentierender<br />

Synkretismen“ und „lokalen Relationierungen“ zu tun (vgl. Berner 1982:101-107).<br />

28 Zum Anstoß der sog. Repräsentationskrise wurde vor allem Michel Focaults „Die Ordnung<br />

der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften“ (Focault 1973). Versuche von Ethnologen,<br />

darauf zu reagieren, bleiben immer problematisch, die postmoderne Kritik an der<br />

Ethnologie ist nämlich selbst Teil jenes hegemonialen Diskurses, den sie anklagt. Ich stimme<br />

Focault zwar zu, wenn er sagt, daß es im Leben Augenblicke gebe, da die Frage, ob man anders<br />

denken könne, als man denkt, und anders wahrnehmen könne, als man sieht, zum Weiterschauen<br />

und Weiterdenken unentbehrlich ist, meine aber andererseits auch, daß die Überbetonung<br />

der Beobachtungsbeobachtung allzuschnell zum Verlorengehen in einem selbstreferentiellen<br />

Labyrinth führt, in dem der Ethnologe dann nur noch damit beschäftigt ist, den<br />

„wahrhaftigsten“ Ausgang zu suchen, den es aber gar nicht geben kann. Insofern ist die postmoderne<br />

Dekonstruktion viel eher dem Idealismus verwandt, als man vielleicht glauben mag.<br />

Ich selbst halte es eher mit dem in den Mythen gespeicherten Wissen um das „Zusammenfallen<br />

der Gegensätze“. Demnach gibt es nicht nur den einen, „warhaftigen“ Ausgang, sondern<br />

mehrere, die alle einen Blick aus dem Dunkel des (gedanklichen) Labyrinths hinaus ins Licht<br />

der Welt eröffnen. Entscheidend ist in meinen Augen, daß man den Mut hat, den Ausgang<br />

überhaupt zu suchen und daß man, wenn man meint, einen Ausgang gefunden zu haben, benennen<br />

kann, wie es dazu kam. Zu Focault und Ethnologie vgl. Sahlins 1993. Zu Mythos,<br />

Ritual und Repräsentation vgl. Hornbacher 2005; Zur Ideengeschichte vgl. Petermann<br />

2004:1004ff.<br />

- 49 -

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!