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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Körper und Kleidung: bi pis und rahis als Fanal für kastom<br />

chen das nicht. Wir sind schon selbst längst Gott. Wenn wir selbst Gott sind, wenn wir Gott<br />

achten, dann wird er sich uns zu erkennen geben. Deswegen trage ich ausschließlich kastom<br />

Kleidung. Ich kann mit bi pis überallhin gehen. Überall. Ob ich mit dem Flugzeug nach Vila<br />

fahre oder nach Santo – ich kann mit bi pis gehen. Heute! Aber es gibt inzwischen viele junge<br />

Leute, die reden schlecht darüber. Aber ich sage allen – vergesst das. Ihr seid schon Gott!<br />

Welchen anderen Gott braucht ihr noch? (Yufella i god finis. Oli lukautem wanem god mo?)<br />

Und die Mädchen folgen mir. Ich will, dass es so bleibt, in Bunlap. Aber ich weiß nicht was<br />

sein wird, wenn ich eines Tages sterben werde. Was werden die Jungen dann machen? Aber<br />

so lange ich da bin wirst Du sehen, dass wir so weitermachen wie bisher.<br />

Ich weiß nicht, warum die jungen Leute heute Hosen anziehen wollen. Warum wollen sie<br />

Dinge aus der Welt des weißen Mannes kaufen? Was zieht die Jungen so stark an? Warum<br />

wollen sie das alles? Früher war es so: wir sind in eine der beiden Städte gegangen, nach Vila<br />

oder nach Santo und haben versucht, ein bißchen Geld zu verdienen. Wenn wir ein bißchen<br />

Geld verdient hatten, haben wir Hosen kaufen können. Es war damals schon hart, sich die<br />

Hosen zu leisten. Damals kosteten die Hosen 10 oder 20 Vatu. Aber heute ist es noch viel<br />

teurer. Die Jungen und sogar manche Mädchen gehen in den „Nachtclub“ nach Baie Barrier, 55<br />

dort sprechen sie natürlich auch mit den Mädchen. Wenn sie bi pis anziehen, dann schämen<br />

sie sich. Das ist jetzt neu. Weil, wenn ein Junge bi pis anzieht, dann lacht seine Freundin, weil<br />

sein Hintern zu sehen ist und er nackt ist. Wenn ein Mädchen den Grasrock anzieht und ihr<br />

Körper unbedeckt ist, ihre Brüste rausgucken, dann sieht ihr Freund – ah, sie ist nackt. So ist<br />

die Scham hergekommen. Das hat es vorher nicht gegeben. Ein Mädchen, die Tochter eines<br />

meiner Brüder, hat diese Scham hierhergebracht. 56 (Wano, die Tochter von Chief Molbua,<br />

T.L.) Das hat es vorher nicht gegeben. Jetzt ziehen die jungen Mädchen und Männer immer<br />

häufiger Kleidung an. Die Scham hat Einzug gehalten. Hosen hat es ja immerhin vorher auch<br />

schon gegeben. Aber was genau dazu führt, dass die Scham aufkommt? Das weiß ich auch<br />

nicht genau. Vielleicht, weil wir oft die Krätze haben? Weil wir nicht so häufig baden? Warum<br />

tragen sie jetzt immer öfter Kleider? Vor allem die Frauen tragen jetzt Kleider. Aber ich<br />

weiß auch nicht – warum schämen sie sich. Weil sie nicht wollen, dass ihr Körper unverhüllt<br />

bleibt? Ich weiß nicht. Oder weil ihr Mann sagt, daß er nicht will, dass der Körper seiner Frau<br />

sichtbar ist? Ist es das, was sie denken? Ich weiß es nicht.“<br />

(Chief Warisul. Bunlap, November 2004)<br />

Wie wichtig das Tragen von bi pis und rahis für das Selbstverständnis von kastom<br />

tatsächlich ist, zeigen auch viele andere Geschichten. Lassen wir zunächst<br />

Chief Telkon zu Wort kommen, der mir in einem Gespräch von einer Auseinandersetzung<br />

berichtete, die sich Mitte der 70er Jahre zugetragen hat:<br />

55 Nahe der katholischen Mission in Baie Barrier findet seit einigen Jahren alle paar Wochen<br />

eine Art privat organisierter Tanzveranstaltung statt, an der Jungen und Mädchen aus ganz<br />

Südostpentecost, einschließlich der Jugend der kastom Dörfer, teilnehmen. Dabei trifft man<br />

sich bei lauter Musik aus dem Kassettenrecorder in irgendeinem privaten Haus und trinkt Kava<br />

und Alkohol. Bebe Telkon ist als Spirituosenverkäufer einer der Hauptprofiteure der Tanzabende.<br />

Häufig entspannen sich Konflikte zwischen Jungen der kastom und der skul Dörfer.<br />

Nicht selten ist die zerrissene Kleidung der kastom Jungen, und der Umstand, daß sie meist<br />

keine Schuhe haben Grund für Hänseleien, die dann fast immer mit Schlägereien einiger<br />

schwer betrunkener Jungen und Männer enden.<br />

56 Gemeint ist Wano, die Tochter von Chief Molbua. Wano hat einige Jahre in der Schule<br />

verbracht und Lesen und Schreiben gelernt. Als sie nach Bunlap-Bena zurückkam, hatte sie<br />

große Schwierigkeiten, sich wieder in den kastom Alltag einzufügen. Bis heute ist sie, trotz<br />

ihrer schon beinahe dreißig Jahre, unverheiratet geblieben<br />

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