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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Gol als Ritual? Versuche zur Ritualtheorie<br />

ge veranlaßte, das Spektakel müsse als geradezu typisch für liminoide Phänomene<br />

in modernen Gesellschaften betrachtet werden. Der Versuch hingegen,<br />

den Begriff auf ein Phänomen in einer vormodernen Gesellschaft anzuwenden,<br />

mag eher überraschen. Betrachtet man jedoch das soeben Gesagte, werden unmißverständlich<br />

wesentliche Übereinstimmungen zum gol deutlich: Wir haben<br />

gesehen, daß es die einzige Veranstaltung im Sa Kalender ist, bei der eine große<br />

Anzahl Zuschauer nicht „zufälliger“ Nebeneffekt, oder durch Tourismus bedingte<br />

rezente Entwicklung, sondern von vornherein angelegter, für das Gelingen<br />

notwendiger Bestandteil ist. Ohne Zuschauer, die tatsächlich in keiner Weise an<br />

der Vorbereitung oder Durchführung beteiligt sind, über keinerlei Spezialwissen<br />

verfügen müssen und auch sonst in jeder Hinsicht vollkommen unbeteiligt bleiben<br />

können, ist das Turmspringen nicht denkbar. Zuschauer können Einheimische,<br />

Touristen oder TV-Teams sein, im Grunde spielt es aber keine Rolle wer<br />

zusieht, entscheidend für die Durchführung des gol ist allein, daß Zuschauer<br />

anwesend sind. 287 Auch die Art und Weise der Performance des gol deckt sich<br />

mit MacAloons Beschreibung des Spektakels. Eine dynamischere, beeindrukkendere<br />

und staunenswertere Veranstaltung als das Turmspringen ist kaum<br />

denkbar, schon gar nicht, wenn man die geringe Anzahl der in den Sa Dörfern<br />

zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte und den verhältnismäßig niedrigen Stand<br />

der Technologie ins Verhältnis zu dem geradezu berauschenden performativen<br />

Ergebnis setzt. Für mich ist aber noch ein weiterer Punkt entscheidend, der es<br />

rechtfertigt, das gol für ein Spektakel zu halten: der Umstand nämlich, daß das<br />

gol schon sehr früh vom Fernsehen entdeckt und ausgewertet wurde. Fernsehberichte,<br />

-dokumentationen und Spielfilme, die über das Turmspringen berichten<br />

bzw. es enthalten, gehen in die hunderte. Die Fernsehmacher erkannten sofort<br />

und mit sicherem Instinkt, daß das gol alle entscheidenden Elemente aufweist,<br />

die das Spektakel, nach dem sie selbst von Berufs wegen ständig auf der Suche<br />

sind, unverkennbar auszeichnet (vgl. Kap. 1 dieser Arbeit; vgl. auch Bourdieu<br />

1998:25).<br />

Letzten Endes ist es für ein möglichst genaues Beschreiben und Erfassen des<br />

Turmspringens in allen seinen sehr unterschiedlichen Dimensionen vielleicht gar<br />

nicht so entscheidend, welchen Namen man der Veranstaltung zuweist und für<br />

welche Kategorie von kultureller Performance man es hält. Wenn ich es dennoch<br />

versucht habe, und mich hier entschließe, das gol als „riskantes Spektakel“<br />

zu bezeichnen, so wird man dies mit der notwendigen Skepsis bzw. als typisches<br />

Modell betrachten müssen. Denn auch wenn MacAloon meint, „Games are not<br />

rituals and rituals are not games“ (MacAloon 2006), darf man nicht verkennen,<br />

daß das Turmspringen einerseits mit der ihm untrennbar verbundenen Dimension<br />

des Risikos für den Einzelnen (nicht für die Gemeinschaft!) eine durch und<br />

287 Allerdings muß man den Sonderfall berücksichtigen, daß die Sa Frauen, obwohl viele von<br />

ihnen selbst als Tänzer zu den Akteuren zählen, in gewisser Hinsicht gleichzeitig die wichtigste<br />

Zuschauergruppe darstellen (vgl. Kap. 16.5 & 17.2)<br />

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