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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Symbolische Dimensionen des gol. Versuch einer Analyse<br />

„Die Symbole kommen aus zu weiter Ferne als daß sie sterben könnten: sie bilden einen Teil<br />

des Menschen, und es ist unmöglich, daß sie irgendwann einmal nicht mehr auffindbar wären<br />

in einer existentiellen Situation des Menschen im Kosmos.“ (Eliade 1959:25)<br />

In diametralem Gegensatz zu einer Auffassung des Symbols als Bild ewiger,<br />

unveränderlicher Ideen oder Strukturen steht Kants „kopernikanische Wende der<br />

Metaphysik“ genannte Überlegung, daß sich die Erkenntnis nicht nach den Gegenständen,<br />

sondern die Gegenstände sich nach der Erkenntnis richten. Demnach<br />

fängt alle menschliche Erkenntnis mit Anschauungen an, geht von da zu<br />

Begriffen und endet schließlich mit Ideen (Kant 1989). Selbst Descartes, der mit<br />

seiner Trennung von res cogitans und res extensa das geistige Handwerkszeug<br />

zur Konstitution der aufgeklärten Moderne maßgeblich beitrug, hatte zur Erklärung<br />

der Gottesvorstellung noch von angeborenen Ideen (idea innata) gesprochen.<br />

Bei Kant nun ist der Mensch selbst der Schöpfer der Ideen, die ihrerseits<br />

am Ende des Erkenntnisprozesses stehen. Die Symbolische Anthropologie hat<br />

sich dieses erkenntnistheoretische Grundaxiom zu Eigen gemacht, wenn sie davon<br />

ausgeht, daß es immer einzelne Menschen sind, die Symbole aus der Anschauung<br />

heraus entwerfen und dann das Symbol, als verbildlichte Idee von etwas,<br />

nach und nach anderen Mitgliedern der Gruppe näherbringen. 247<br />

“A culture apparently includes a body of symbolic material out of which myths and rites are<br />

constructed and modified. The creation or modification of rites or myths may be more culturally<br />

channelled and formally structured than many of the creations of private fantasy; but they<br />

are ultimately created or modified by individual minds and become shared or borrowed from<br />

the neighbours only if they are psychologically meaningful to other people.” (Keesing &<br />

Strathern 1998:63)<br />

Ich will hier versuchen, den von Clifford Geertz vorgeschlagenen Symbolbegriff<br />

noch etwas genauer zu umreißen: Symbole sind demnach aus der Erfahrung abgeleitete<br />

Abstraktionen, die uns als in wahrnehmbare Formen geronnene Vorstellungen<br />

gegenübertreten. Als solches können sie konkrete Verkörperungen<br />

von Ideen, Verhaltensweisen, Meinungen, Sehnsüchten und Glaubensanschauungen<br />

sein. Kulturelle Handlungen – das Bilden, Auffassen und Verwenden<br />

symbolischer Formen – sind zumeist öffentliche, und daher beobachtbare, sozia-<br />

247 Alternativ könnte man Symbole neodarwinistisch auch für „Zufallsvariation und systematisch-selektive<br />

Erhaltung“ halten, ein Ansatz, den z.B. Donald T. Campbell vertritt (D. T.<br />

Campbell 1975:1103-1126). Oder man könnte komplementär mit Mary Douglas’ strukturalistischer<br />

Symboltheorie arbeiten, derzufolge Symbole ausgehend vom menschlichen Körper<br />

gebildet werden. Da der Körper eine Art „Chassis ohne Rahmen“ darstellt, kann „alles“ in<br />

Analogie zum Körper verstanden werden. Wie sich das im Einzelnen formiert, was konkret<br />

auf den Körper projiziert wird, ist abhängig von der Sozialstruktur und ergibt daher eine ungeheuer<br />

große Vielfalt von kulturellen Bedeutungsvarianzen (Douglas 1970; 1966).<br />

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