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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Körper und Kleidung: bi pis und rahis als Fanal für kastom<br />

stom dazugehörten. In seinen Augen hatten wir dadurch sogar eine größere Berechtigung<br />

am Tanz teilzunehmen als seine skul Genossen auf der Westseite der<br />

Insel. Denn diese tragen die traditionelle Kleidung ausschließlich zu den wenigen<br />

besonderen Gelegenheiten, an denen zahlende Touristen anwesend sind – in<br />

der Regel das Zurschaustellen eines gol. Dabei hilft ihnen, wie in Bunlap jedermann<br />

weiß, der Umstand, daß die Touristen für bi pis tragende Turmspringer<br />

einen höheren Preis zu zahlen gewillt sind, über ihre Scham wirkungsvoller<br />

hinweg als eine abstrakte „Rückbesinnung“ auf die „Traditionen“. Die kastom<br />

Sa empört das Verhalten ihrer Vettern auf der Westseite, da diese nicht mehr am<br />

traditionellen Titelsystem teilnehmen und daher auch nicht berechtigt sind,<br />

Grasrock und Penisbinde überhaupt noch zu tragen. Wir hingegen hatten das<br />

Recht bi pis und rahis anlegen zu dürfen durch das ordnungsgemäße Schlachten<br />

eines Hahnes (tokon mal – der erste Titel für Jungen) bzw. eines Schweins (masus<br />

– unverzichtbarer Titel für heiratsfähige Mädchen, impliziert das Recht den<br />

rahis zu tragen) gekauft, und damit den ersten Schritt auf der langen Stufenleiter<br />

des Titelsystems erklommen, so wie es sich für jedes kastom Mädchen und jeden<br />

kastom Jungen gehört. 58<br />

Der Umgang mit der traditionellen Kleidung läßt deutlich erkennen, wie flexibel<br />

und doch beständig die Kultur der kastom Sa mit den zweifellos bestehenden<br />

Herausforderungen durch die moderne Welt umgeht. Betrachten wir noch an<br />

einigen anderen Beispielen, daß kastom nichts mit Weltabgewandtheit aus Unwissenheit<br />

zu tun hat, sondern vielmehr mit dem Versuch der selbstbestimmten<br />

Weltbeherrschung durch bewußtes Ablehnen oder vorsichtiges Integrieren:<br />

Westlicher Technologie steht man grundsätzlich ambivalent gegenüber. So hat<br />

man dem Bau einer von der EU finanzierten Schotterstrasse bis nach Bunlap<br />

nicht zugestimmt, die Strasse führt lediglich ins benachbarte Ranwas und endet<br />

dort. Andererseits gibt es in Bunlap durchaus Zugeständnisse an die moderne<br />

Welt, die auf den ersten Blick so gar nicht zu bi pis und rahis passen wollen:<br />

Stahlmesser und Äxte sind ebenso im ständigen Einsatz wie Plastikgefäße, Bettücher<br />

und Blechteller. Zwar gart man Wurzeln, Knollen, Gemüse und Fleisch<br />

nach wie vor häufig im Erdofen – lok, eine Art Pudding aus gestampfter Taro,<br />

Yams oder Bananen, läßt sich ohnehin nur so herstellen – aber die in jedem<br />

Haushalt vorhandenen Aluminiumtöpfe haben die Lebensgewohnheiten wahrscheinlich<br />

nachhaltiger verändert als etwa die allgegenwärtigen Petroleum- oder<br />

Taschenlampen. Auch ein paar Radios gibt es im Dorf und oft hören die Männer<br />

während der allabendlichen Kavarunde die neuesten Nachrichten aus Vanuatu<br />

und aller Welt. Weder existieren Missionsstationen oder Schulen im kastom Gebiet,<br />

noch gewähren die kastom Leute der modernen Bürokratie einen substantiellen<br />

Eingriff in ihr Leben. Manche technologischen Neuerungen hingegen, die<br />

durchaus nicht als Gegensatz zu kastom empfunden werden, haben hingegen<br />

definitiv Eingang in das Leben der kastom Sa gefunden: Erst um das Jahr 2000<br />

58 Auf das warsangul Titelsystem wird in Kap. 12.1 genauer eingegangen.<br />

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