20.11.2013 Aufrufe

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Körper und Kleidung: bi pis und rahis als Fanal für kastom<br />

Umgekehrt signalisiert das ständige Tragen von bi pis und rahis zweifelsohne<br />

den Respekt für und somit auch die Zugehörigkeit zu kastom. Dabei handhaben<br />

die kastom Leute dieses unausgesprochene Gesetz in mehrfacher Hinsicht<br />

durchaus pragmatisch – ohne es jedoch nachhaltig zu relativieren. Sie legen es<br />

nämlich nicht darauf an, ihre skul Nachbarn zu provozieren. Begibt sich ein kastom<br />

Mann in eines der skul Dörfer der Nachbarschaft, oder fährt er gar nach<br />

Santo oder in die Hauptstadt Port Vila, legt er seinen bi pis in aller Regel ab und<br />

zieht, wie jedermann sonst auch, Shorts und T-Shirt an. Wenn hingegen europäische<br />

Besucher von außerhalb in ein kastom Dorf kommen, achten Männer wie<br />

Frauen sehr bewußt darauf, sich traditionell gekleidet zu zeigen und solcherart<br />

photographieren oder filmen zu lassen. Hin und wieder bedecken einige Mädchen<br />

und jüngere Frauen ihren Oberkörper mit zerschlissenen T-Shirts, Stoffbahnen<br />

oder Handtüchern, um sich warmzuhalten.<br />

Aber auch Schamgefühle, die vor allem durch den Kontakt mit den stets bekleideten<br />

skul-Leuten aus den Nachbardörfern entstehen, spielen dabei eine Rolle.<br />

Im Regelfall wird niemand etwas dabei finden. Wenn aber die „Vorderbühne“<br />

betreten wird, ändert das die Situation grundlegend (vgl. Goffmann 1969). Sind<br />

Fremde anwesend, sehen es die Chiefs des Dorfes nicht gern, daß ihre Frauen<br />

gegen die kastom Etikette verstoßen und sich in zerschlissene T-Shirts und Tücher<br />

gehüllt zeigen, die auch die Sa durchaus nicht „herzeigbar“, geschweige<br />

denn „schön“ finden. Was manche Männer hingegen durchaus „schön“ finden,<br />

ist ein – in ihren Augen – zwangloses symbiotisches Zusammenspiel zwischen<br />

traditioneller und westlicher Kleidung, bei dem das dominante Zeigen des bi pis<br />

jedoch eine zentrale Rolle spielt. Wenn es kalt ist, tragen auch viele Männer alte<br />

T-Shirts oder Pullover – und dazu, wie stets, den bi pis. Manche Alten gehen<br />

sogar, weil sie mit den Jahren kälteempfindlicher geworden sind, beinahe ständig<br />

so herum. Mitunter treibt die Mischung zwischen alt und neu besonders bunte<br />

Blüten, wie die folgende kleine Anekdote zeigt: Während meines Feldaufenthaltes<br />

im Jahre 2004 erschien der etwa achtunddreißigjährige Betu Oska, ein<br />

fleißiger, stolzer und mitunter auch ein bißchen eitler Mann, hin und wieder in<br />

besonders ausgefallener Kleidung auf dem Tanzplatz, um mit seinen Freunden<br />

die abendliche Kava zu trinken. Zusätzlich zum bi pis trug er manchmal eine<br />

rote Windjacke mit blauen Ornamenten und weißen Streifen, blauweiß gekringelte<br />

Fußballsocken und farblich passende Turnschuhe, die ihn als einen der besten<br />

Fußballspieler von Südpentecost ausweisen sollten. Abgerundet wurde diese<br />

außergewöhnliche Erscheinung durch ein handgeflochtenes Täschchen aus<br />

Pandanus, das jeder Mann besitzt, um Tabak, Streichhölzer, ein kleines Messer<br />

oder Geld griffbereit zu haben. Betu Oska war sichtlich stolz auf seine Kreation,<br />

die er selbst einerseits als schick und andererseits als ganz und gar der kastom<br />

Etikette entsprechend empfand. Das Bild läßt das Zusammenfallen der vermeintlichen<br />

Gegensätze „Tradition“ und „Adaption“ augenfällig werden und unterstreicht<br />

eindrucksvoll die Lebendigkeit von kastom. Der heuristische Wert des<br />

weiter oben beschriebenen Transdifferenz Konzeptes (vgl. Bargatzky 2007)<br />

wird hier ganz konkret und unmittelbar augenfällig deutlich.<br />

- 77 -

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!