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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Gol als Ritual? Versuche zur Ritualtheorie<br />

18. Gol als Ritual. Versuche zur Ritualtheorie<br />

There is the widest possible disagreement<br />

as to how the word ritual should be understood.<br />

Edmund Leach (1910 – 1989)<br />

Bislang habe ich das gol als „Veranstaltung“ oder „Spektakel“, nicht jedoch als<br />

„Ritual“ bezeichnet. Dies geschah mit gutem Grund, da ich, trotz aller explizit<br />

und implizit ganz sicher vorhandenen Relevanz des Phänomens, erst hier die<br />

Frage aufwerfen möchte, ob man das gol überhaupt als Ritual betrachten kann.<br />

Die Ritualtheorie ist ein weites Feld. Edmund Leach meinte bereits in den sechziger<br />

Jahren, daß es, angesichts einer Vielzahl von Auslegungen, keine Übereinstimmung<br />

über das Verständnis des „Rituals“ geben könne (Leach 1966). Vierzig<br />

Jahre später sind die Dinge nicht überschaubarer geworden, im Gegenteil,<br />

Catherine Bell kommt in „Ritual Theory, Ritual Practice“ ebenfalls zu dem<br />

Schluß, daß eine in sich geschlossene Ritualtheorie angesichts der Unmöglichkeit,<br />

diese mit einer hyperkomplexen rituellen Praxis zur Deckung zu bringen,<br />

Utopie bleiben muß (Bell 1992:219). Es ist klar, daß ich hier nicht einmal ansatzsweise<br />

die Bandbreite an bestehenden Ritualtheorien erfassen kann, wir<br />

können lediglich versuchen, uns einige grundlegende Überlegungen, die zu teils<br />

sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen, vor Augen zu halten, um dann auf<br />

dieser Folie einen für unsere Zwecke brauchbaren Ritualbegriff zu skizzieren<br />

und eine Einordnung des gol zu versuchen.<br />

18.1 Grundlegendes zum Ritual<br />

Grundsätzlich kann man sagen, daß Kultur ohne Ritual nicht denkbar ist. Es gehört<br />

zum Grundwissen nicht nur der Ethnologie, daß alle Gesellschaften ritualisierte<br />

Gesellschaften sind, wobei man beachten muß, daß dies einigen Gesellschaften<br />

mehr und anderen weniger bewußt ist. Überall gibt es rituelle Formalisierungen<br />

von Zeit und Raum, rituelle Werkzeuge, Ritualsprache, Ritualspezialisten<br />

etc. Gleichzeitig muß man konstatieren, daß die wichtigsten rituellen<br />

Idiome von allen Mitgliedern einer Gesellschaft beherrscht werden müssen<br />

(vgl.f.a. Goffmann 1969). Dieses Beherrschen der rituellen Idiome ist, so könnte<br />

man argumentieren, der eigentliche Grund dafür, daß Kollektivrituale überhaupt<br />

funktionieren können: der Einzelne kann davon ausgehen, daß sein alter ego im<br />

Vollzug des Rituals genauso handelt wie er selbst, was wiederum voraussetzt,<br />

daß der rituellen Performance eine Pre-formance zugrunde liegen muß, damit<br />

Ordnung überhaupt entstehen kann. 257 Das Ritual zeichnet sich weiter, so kann<br />

man mit den Worten von Helmuth Plessner sagen, durch seine „vermittelte Unmittelbarkeit“<br />

aus (Plessner 1965; vgl. a. Hauke 2000). Unmittelbarkeit deswegen,<br />

weil Bedeutungsvermittlung durch das Ritual in vielen Fällen ohne Sprache<br />

257 Vgl. zum Konzept der „Appräsentation“ bzw. „Mitvergegenwärtigung“ Husserl 1981;<br />

1983; 1986; vgl. auch MacAloon 2006.<br />

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