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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Gol und Mythos – Versuch einer Mythenanalyse<br />

scheint, daß in der Paarung „Mann heiratet Frau“ – „Mann erweckt Frau zu neuem<br />

Leben“ (Spalte 5) ein zentraler Problemfall thematisiert wird, den schon Lévi-Strauss<br />

aufgegriffen hat: die Frage nämlich nach der Autochthonie des Menschen,<br />

in unserem Fall konkret die, nach der Autochthonie des Mannes. Im gol<br />

Mythos zeigt sich, daß die Sa Gesellschaft vor einer Aporie steht. Die strukturalistische<br />

Analyse fördert die Autochthonie des Mannes zutage, dieser ist in der<br />

Lage, sich aus sich selbst heraus zu reproduzieren (Spalte 5). Der tatsächliche<br />

Befund ist aber ein anderer, nämlich der, daß jeder Mensch aus einer Vereinigung<br />

von Mann und Frau geboren wird. Wir haben es also in Wirklichkeit mit<br />

einem Mann-Frau Dualismus zu tun, angesichts dessen sich die grundsätzliche<br />

Frage stellt, ob man aus Einem oder aus Zweien geboren ist. Wie kommt es, daß<br />

wir nicht einen einzigen Erzeuger haben, sondern eine Mutter und einen Vater.<br />

Oder, noch weiter gedacht: wird das Selbst aus dem Selbst geboren, oder aus<br />

dem Anderen? In diesem Fall besteht die Leistung des Mythos darin, so sagt Lévi-Strauss,<br />

ein Instrument zu liefern, mit dem die Aporie aufgelöst wird. Der<br />

Geschlechterdualismus wird in ein Bild der Autochthonie überführt (vgl.a. Lévi-<br />

Strauss 238f). 240<br />

Ich habe in Kap. 9 eine Auswahl der wichtigsten Mythen der Sa aufgeführt, auf<br />

die ich hier, mit Hinblick auf das eben geschilderte Phänomen zurückkommen<br />

möchte. Da wir hier aus Platzgründen nicht alle weiteren Mythen einer vergleichbaren<br />

strukturalistischen Analyse unterziehen können, müssen wir zunächst<br />

auf der „obersten Ebene“ der mythischen Texte bleiben. Folgt man Lévi-<br />

Strauss, sollte sich zeigen, daß auf dieser Ebene die Einsicht in die Nichtlösbarkeit<br />

der Frage nach dem Zusammenfallen der Gegensätze im Wesentlichen bestehen<br />

bleibt und in Form von Metaphern thematisiert wird. Beginnen wir mit<br />

Mythos I, der die Besiedlung der Welt sowie die Erschaffung der ersten Frau<br />

zum Thema hat. In beiden Fällen haben wir es mit der autochthonen Leistung<br />

eines Mannes zu tun. Barkulkul verläßt die Blütenscheide der Kokospalme, um<br />

die Welt als Erster zu betreten. Ihm folgen sechs andere Männer. Die Frau die er<br />

schafft, indem er einen anderen Mann kastriert, ist aus dem männlichen Selbst<br />

geboren. 241 Ein ganz ähnliches Bild begegnet uns in Mythos II. Hier wird thematisiert,<br />

wie aus den Hoden des Mannes Wagher die ersten Schweine entstehen.<br />

240 Es muß hier erwähnt werden, daß der sog. niederländische Strukturalismus diese zentrale<br />

These von Lévi-Strauss’ aufgegriffen und, auf der Grundlage von verwandtschaftsethnologischen<br />

und Mythenforschungen in Indonesien, kritisch erweitert hat. Dabei wurde nicht zuletzt<br />

Lévi-Strauss Überlegungen zur Autochthonie kritisiert und angeregt, die weibliche Beteligung<br />

an der Prokreation käme in vielen Mythen sehr wohl zur Geltung. Ich kann diese Diskussion<br />

hier nicht weiter vertiefen, sondern lediglich darauf verweisen, daß man mit dem Material<br />

auch unter strukturalistischen Gesichtspunkten durchaus anders arbeiten könnte (vgl. Van<br />

Wouden 1968; Josselin de Jong 1977).<br />

241 Daß diese erste Frau den Namen Sermop erhält, wie die Frau im gol Mythos und auch der<br />

Tochter von Jamwop im Liede „mele ai“, ist m. E. kein Zufall sondern ein Indiz für eine ursprüngliche<br />

Verlinkung dieser Texte. Über mögliche linguistische Verknüpfungen kann ich<br />

jedoch keine Aussage treffen.<br />

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