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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Einleitung<br />

Behauptung Nr. 3<br />

Es handelt sich hier um einen Initiationsritus, bei dem die jungen Männer ihre<br />

Tapferkeit zur Schau stellen müssen.<br />

• Hier begegnet uns die Vorstellung, daß das ein hohes Maß an Mut voraussetzende<br />

Turmspringen einer Initiation gleichzusetzen ist. Das Ritual<br />

fordert zwar einerseits Mut, vermittelt aber andererseits auch Geborgenheit<br />

und weist dem Menschen einen Platz innerhalb der Gemeinschaft zu.<br />

Es wird das Bild einer Kultur bzw. einer Dimension des Menschseins entworfen,<br />

die offenbar genau das verkörpert, was dem westlich (vermeintlich) aufgeklärten<br />

Menschen offenbar abhanden gekommen ist, die Stichworte „homo religiosus“,<br />

„Mythos der ewigen Wiederkehr“, „Geborgenheit in den Traditionen“ sind gefallen.<br />

Was muß eine ethnologische Analyse dem gegenüberstellen?<br />

Zunächst will sie den Akteuren zuhören und versuchen herauszufinden, was die<br />

Sa selbst über das gol denken. Dabei wird sich zeigen, daß diese ganz andere<br />

Theorien über ihr Tun haben, als die oben geschilderten. Das fällt Touristen,<br />

Journalisten oder Filmteams jedoch nicht auf, weil eine sprachliche Verständigung<br />

kaum möglich ist und in der Regel auch nicht interessiert. Man gibt sich<br />

vielmehr gern mit den oben genannten Interpretationen zufrieden, weil sie gut in<br />

das bereits bestehende Bild des archaischen „homo religiosus“ passen. Sollte<br />

sich ausnahmsweise doch einmal ein ungelenkes Gespräch zwischen Besucher<br />

und Turmspringer ergeben, wird dieses in der Regel nicht wesentlich mehr zu<br />

Tage fördern als die Behauptung des Turmspringers, daß das gol eben ein wichtiger<br />

„kastom“ sei, den man nicht verlieren dürfe. Eine Aussage, die genug<br />

Raum für eine relativ beliebige Auslegung nach allen Seiten läßt – weshalb in<br />

den oben behandelten Texten der stets beschworene „cultural and spiritual value“<br />

ja auch nirgends näher bezeichnet wird. Die Tourguides bzw. lokalen Veranstalter<br />

führen schließlich oft schon seit vielen Jahren „Expeditionen“ zu den<br />

Turmspringern durch. Nach so langer Zeit und so viel Routine bei der praktischen<br />

Durchführung der Turmsprünge mit den Touristen noch über irgendwelche<br />

kulturell bedingten „Gründe“ zu sprechen, halten offenbar weder die Turmspringer<br />

noch die Guides für nötig, so daß auch auf dieser Ebene nur wenig Austausch<br />

stattfindet. Jeder meint zu wissen, warum der jeweils andere tut, was er<br />

eben tut. Touristen, Tourguides und Turmspringer haben, so könnte man sagen,<br />

ein unausgesprochenes Abkommen über die Bedeutung der Veranstaltung geschlossen.<br />

Man sagt sich gegenseitig, was der jeweils andere hören möchte bzw.<br />

ohnehin schon weiß. So läßt sich erklären, weshalb sich die oben skizzierte Lesart<br />

dieser Veranstaltung durchgesetzt hat, die eben aus der stetigen Wiederholung<br />

von drei oder vier stereotypen Behauptungen besteht, die den Ethnologen<br />

freilich nicht befriedigen können.<br />

Neben dem Zuhören und der Beschreibung dessen, was die „Anderen“ tun, will<br />

die hier vorliegende Arbeit aber auch weitere Dimensionen des Phänomens er-<br />

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