20.11.2013 Aufrufe

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Gol und Mythos – Versuch einer Mythenanalyse<br />

16. Gol und Mythos – Versuch einer Mythenanalyse<br />

Ein Mythos (von altgr. µ für: „Laut“, „Wort“, „Rede“, „Erzählung“) bezeichnet<br />

zunächst eine Geschichte, die ein oder mehrere Ereignisse beschreibt.<br />

Es ist unmöglich, und auch nicht das Anliegen dieser Arbeit, hier alle je zur Mythosforschung<br />

vorgebrachten Positionen vorzustellen. Ich will hier lediglich versuchen,<br />

einen möglichst klar umrissenen Mythosbegriff zu skizzieren, sowie ein<br />

Analysewerkzeug vorzuschlagen, das hier brauchbar erscheint.<br />

16.1 Der Mythosbegriff<br />

Eine knappe, aber den Kern der Beziehung zwischen Mensch und Mythos treffende<br />

Beschreibung hat Hans Blumenberg entworfen, wenn er den Menschen als<br />

„Homo Pictor“ betrachtet, als ein mit der Projektion von Bildern den Verläßlichkeitsmangel<br />

der Welt überspielendes Wesen. Der Mensch schafft sich Bilder,<br />

weil er sie zur Weltdeutung braucht. Mythen sind ein Ausdruck des<br />

menschlichen Bedürfnisses nach Bildern, sie stellen die Welt, als das Weltdeutungsmodell<br />

traditionaler Gesellschaften, in Bildern dar (Blumenberg 1986). So<br />

zutreffend diese Deutung auch ist, so ungenau, weil nur hinreichend bleibt sie,<br />

denn schließlich gibt es viele unterschiedliche Möglichkeiten, „Bilder“ in<br />

(mündlich tradierten) Geschichten zu transportieren. Versuchen wir daher, Blumenbergs<br />

Befund aus der Perspektive des feldforschenden Ethnologen zu verfeinern.<br />

Bronislaw Malinowski fand auf den Trobriand Inseln im Wesentlichen drei verschiedene<br />

Gattungen an Geschichten, er unterschied zwischen Märchen, Legenden<br />

und den eigentlichen Mythen (Malinowski 1976). Die erste Gattung, Märchen,<br />

beschreibt er als öffentlich zur Unterhaltung vorgetragene Geschichten,<br />

die häufig eine an Jahreszeiten gebundene Vorstellung und einen Akt der Geselligkeit<br />

darstellen, letztlich jedoch nicht recht ernstgenommen werden. Nicht selten<br />

befinden sich Märchen im „Besitz“ von einzelnen Eigentümern, die z.B. das<br />

Recht für sich reklamieren, dieses oder jenes Märchen öffentlich vortragen zu<br />

können. Von den Märchen unterscheidet er als zweite Gattung historische Berichte,<br />

Erzählungen vom Hörensagen und Legenden. Sie werden ernster genommen<br />

und für wichtiger erachtet als die erste Kategorie. Es sind die Alten,<br />

Krieger oder Reisende, die diese Geschichten oft auch „selbst erlebt“ haben,<br />

zumindest aber jemanden kennen, der „tatsächlich“ dabei gewesen ist. Allerdings<br />

gibt es in dieser Kategorie auch „phantastische Geschichten“, die dennoch,<br />

so Malinowski, für wahr gehalten werden. Immer wird in den Geschichten dieser<br />

Gattung eine ungewöhnliche Realität präsentiert, eröffnen sich vergangene<br />

historische Augenblicke. Als letzte Kategorie schließlich benennt er die Mythen,<br />

„heilige“ Geschichten, die nicht nur als wahr, sondern auch als verehrungswürdig<br />

betrachtet werden. Mythen spielen von allen Gattungen die wichtigste Rolle<br />

und kommen immer dann ins Spiel, wenn Riten, Zeremonien oder eine gesellschaftliche<br />

oder sittliche Regel betroffen ist. Mythen gelten als Bürgschaft für

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!