20.11.2013 Aufrufe

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Funktionen des gol. Versuch einer Analyse<br />

zu instrumentalisieren: es sind ausschließlich die remlili Männer. Der Befund<br />

verwundert nicht, wenn man sich vor Augen hält, wie diese Gruppe auch anderswo<br />

„aus der Rolle“ fällt. Ich nehme an, daß das „abweichende Verhalten“<br />

der remlili Leute, ihre Instrumentalisierung von Traditionen und Normen zu ihren<br />

Gunsten, aus der überlieferten Erfahrung der einstmaligen Vertreibung<br />

rührt. 292<br />

Damit kommen wir zu der Frage, wie, ausgerechnet durch die Instrumentalisierung<br />

des gol, überlieferte Traditionen und Normen so nachhaltig außer Kraft<br />

gesetzt werden können. Vielleicht nimmt der hiermit verbundene Prozeß seinen<br />

Ausgang mit der Implementierung der Chief-Titel durch die Kolonialmächte.<br />

Beim ersten Hinsehen könnte man vielleicht meinen, daß sich durch diesen Eingriff<br />

von außen nichts Grundlegendes an den traditionellen Machtstrukturen in<br />

den kastom Dörfern geändert habe, da die Bedeutung des Chief sich ja doch,<br />

zumindest war es ursprünglich so gedacht, jeweils aus einer bereits bestehenden<br />

warsangul Legitimation ableiten sollte. Dem muß man widersprechen, denn es<br />

ist durch die Einführung des „Chief“-Titels unabsehbar eine Entwicklung in<br />

Gang gekommen, die nach und nach die vorsichtig austarierte Machtbalance des<br />

warsangul Systems aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Schon bei Jolly wurde<br />

deutlich, daß Bong Bumangari Kaon, obwohl er nicht selten in Opposition zur<br />

Kolonialmacht stand, einen guten Teil seiner Macht aus seiner Position als<br />

„Chief“ ableitete. Sie zitiert Bong mit den Worten:<br />

„If the government comes they know me, Bong. I look after Pentecost. They selected me, because<br />

I seek life.”<br />

(Jolly 1994a:231)<br />

Bong Bumangari Kaon wurde in den spätern 1950er Jahren bereits nicht mehr<br />

von der Kolonialregierung bestellt, sondern von den Männern von Bunlap selbst<br />

zum Chief gemacht, obwohl er, anders als sein Vater Meleun Temat, im warsangul<br />

System bis dato nur unterdurchschnittlich weit gekommen war. Bei seiner<br />

Wahl zählten wohl vor allem seine während des langen Aufenthaltes außerhalb<br />

von Bunlap gesammelten Erfahrungen, die ihm ein besonders Charisma<br />

verliehen hatten. Bongs Wahl ist noch mit den Traditionen der kastom Sa zur<br />

Deckung zu bringen, denn zweifellos verfügte er über Eigenschaften, die dem<br />

kastom Ethos entsprachen: Er war in seiner Jugend ein mutiger, abenteuerlustiger<br />

Mann. Nach seiner Rückkehr ins Dorf jedoch fügte er sich in die kastom Lebensweise<br />

mit dem warsangul System als zentralem Eckpfeiler wieder ein. Er<br />

heiratete, wohnte in Bunlap, bestellte fleißig seine Gärten, züchtete Schweine<br />

und kümmerte sich um die täglichen Probleme seiner Leute. Seine Macht setzte<br />

292 Überlagerungen von „Alteingesessenen“ und „Zugezogenen“ kommen in Melanesien nicht<br />

selten vor, Maurice Godelier beschreibt diesen Fall z.B. für die Baruya. Auch hier sind die<br />

„Zugezogenen“ diejenigen, die sich als „Eroberer“ bestimmte Privilegien, in diesem Fall den<br />

Besitz der kwaimatnié, bestimmter, heiliger Gegenstände, gesichert haben (Godelier 1987).<br />

- 388 -

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!