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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Zur Entstehung von kastom als Lebensform & Ideologie<br />

hier aufgrund mancher historischer Zufälle eine ungewöhnliche Wendung.<br />

Zweitens weist die Kultur der Sa offenbar einige Eigenheiten auf, die sie erstaunlich<br />

selbstbewußt und widerstandsfähig gegenüber äußeren Veränderungen<br />

machte und immer noch macht, ohne gleichzeitig im Zustand eines starren Konservativismus<br />

zu verharren oder gar von aggressiven Restaurationstendenzen<br />

bestimmt zu werden. Drittens hatten die Ostküsten-Sa das Glück, einige Führer<br />

hervorzubringen, die den Weißen und ihrer Welt mit erstaunlicher Weitsicht begegneten,<br />

die sich durch vorsichtige Zurückhaltung, selbstbewußtes Bewahren,<br />

beharrliches Verteidigen und kreatives Weiterentwickeln auszeichnet. Es sind<br />

also historische Entwicklungen, kulturelle Besonderheiten und starke Persönlichkeiten,<br />

die in einem glücklichen Zusammenspiel den Boden für kastom bereitet<br />

haben. Eine letztgültige Antwort, was in welchem Masse zur Entwicklung<br />

von kastom beigetragen hat wird es dabei genausowenig geben können, wie man<br />

eindeutig die Frage klären kann, wann genau sich aus der traditionellen Gesellschaft<br />

das kastom Phänomen entwickelt hat, das ja, wie ich oben bereits erwähnt<br />

habe und im Laufe der Arbeit noch weiter vertiefen werde, viel mehr ist als das<br />

bloße Bewahren von, möglicherweise längst erstarrten, Traditionen. Beschäftigen<br />

wir uns daher zunächst mit den historischen Rahmenbedingungen, die zur<br />

Bildung von kastom beigetragen haben. Mein Material setzt sich dabei sowohl<br />

aus historischen Quellen zusammen, als auch aus den vielen, teils bis heute lebendigen<br />

mündlichen Überlieferungen. Beginnen wir unsere Analyse mit einer<br />

Rückschau auf die Beziehungen zwischen Sa und Europäern.<br />

6.1 Sandelholzhändler, Blackbirder und Walfänger<br />

Die ersten dauerhafteren Kontakte zwischen Europäern und den Bewohnern Vanuatus<br />

entstehen ab etwa 1825. Es sind zunächst Sandelholzhändler 29 und Walfänger,<br />

die auf die Inseln kommen um Handel zu treiben, Vorräte aufzunehmen<br />

oder Reparaturen an ihren Schiffen durchzuführen. Dabei besuchen sie vor allem<br />

den südlichen Teil des Archipels: Aneityum, Erromango, Tanna und Efate,<br />

ab 1853 auch Santo. Pentecost erreichen sie erst sehr viel später. Dennoch dürften<br />

ihre Waren auf dem Weg der weitverzweigten indirekten Tauschwege schon<br />

früher auch hierher gelangt sein: Äxte, Messer und Macheten, Bandeisen, Stoffe,<br />

Pfeifen, Tabak und Feuerwaffen (vgl. Jolly 1994a:23). Das Zeitfenster für die<br />

ersten Kontakte mit den Sa in Ost-Pentecost läßt sich nachträglich nur noch anhand<br />

von mündlichen Berichten rekonstruieren. Die Fremden sind ab den<br />

1860er Jahren nicht mehr am Sandelholz interessiert, sondern an billigen Arbeitskräften,<br />

die im boomenden Australien, aber auch in Fidschi, Teilen Polynesiens<br />

oder Mikronesiens zum Straßenbau oder auf den Zuckerrohr- oder Baumwollplantagen<br />

dringend benötigt werden. Zu Tausenden werden die Bewohner<br />

29 Der Handel mit dem v.a. in China beliebten, angenehm duftenden Sandelholz etablierte<br />

erste Handelsbeziehungen zwischen einheimischen Landbesitzern und geschäftstüchtigen<br />

Händlern bzw. Handelsschiffen. Der große Bedarf führte innerhalb von knapp vier Jahrzehnten<br />

zu einem Erschöpfen der Bestände auf den Inseln (vgl. Shineberg 1967).<br />

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