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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Verwandtschaft<br />

fen, was, wie die Dinge bei den Sa nun einmal liegen, bedeutete, daß er sie „gestohlen“ hatte.<br />

Moses war, weil es die Etikette so vorsieht, äußerlich durchaus erregt. Andererseits wußte er<br />

aber auch, daß die Situation ihm aus zweierlei Gründen eine gute Position für die Brautpreisverhandlungen<br />

bescherte. Ein Junge, der ein Mädchen stiehlt, noch dazu eines, das eigentlich<br />

zu jung für die Ehe ist, hat in der Regel mit Konsequenzen zu rechnen. In diesem Fall einigte<br />

man sich nach einigen Verhandlungen zwischen Moses und dem Vater von Sali, Melsul Tokon,<br />

allerdings darauf, daß das Alter von Mani zwar grenzwertig sei, man die Heirat aber<br />

trotzdem tolerieren werde. Allerdings müsse sich der voreheliche Verkehr in einem höheren<br />

Brautpreis niederschlagen, was dann auch der Fall war.<br />

(Feldnotiz <strong>Thorolf</strong> <strong>Lipp</strong>, August 2004)<br />

Manis Geschichte korrespondiert mit einem von Jolly aufgezeichneten Satz der<br />

jungen, unverheirateten Jibewano aus Pohurur: „If a woman desires a man, she<br />

tells her father and he arranges a marriage for her“ (aus Jolly 1994a:115). Hier<br />

wird angedeutet, daß eine Heirat aus Liebe, möglicherweise auch gegen den<br />

Willen der Eltern, für die Sa keinesfalls eine abwegige Vorstellung darstellt.<br />

Daß es allerdings, vor allem für sehr junge Liebende, mitunter unmöglich ist,<br />

sich gegen den Willen der Eltern zu vermählen, zeigt folgende Geschichte. Dieser,<br />

durchaus vergleichbare Fall eines „gestohlenen Mädchens“, trug sich vor<br />

etwa 30 Jahren zu. Da es hier jedoch zu keiner Einigung zwischen den Eltern<br />

kam, ging die Sache für den Jungen nicht so glimpflich ab, sondern hat vielmehr<br />

deutliche Spuren hinterlassen (vgl. auch Kap. 18.8):<br />

Bebe Melsul (Presin) und Maju<br />

Der etwa 16-jährige Bebe Melsul aus der ta tobol hatte Maju, ein etwa 14-jähriges Mädchen<br />

aus der ta remlili verführt. Da sich jedoch zwischen den Eltern der beiden jungen Leute keine<br />

Einigung ergeben wollte, wie nun weiter zu verfahren sei, informierte Majus Vater schließlich<br />

von Pangi aus die Polizei in Lakator auf Malakula und zeigte an, daß Bebe seine Tochter „gestohlen“<br />

hatte. Die mobile Eingreiftruppe kam einige Tage später nach Bunlap und Bebe wurde<br />

nach einem kurzen Gerichtsverfahren zu drei Monaten Haft verurteilt. Er wurde nach Malakula<br />

überführt, wo er seine Strafe absitzen mußte. Obwohl er später Jibe aus der ta ran bwela<br />

mwil heiratete und sieben Kinder hat, ist er das Stigma des ehemaligen Gefängnisinsassen<br />

nicht mehr ganz losgeworden und trägt seither den Namen Bebe Presin (prison).<br />

(Feldnotiz <strong>Thorolf</strong> <strong>Lipp</strong>, März 2002)<br />

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Ehen bei den Sa aus sehr unterschiedlichen<br />

Gründen geschlossen werden, die jedoch offenbar komfortabel nebeneinander<br />

existieren können: Wahrung der Familientradition und wirtschaftliches<br />

Kalkül (imaraga und Schwesterntausch) einerseits, sowie Ehen aus Liebe und<br />

Leidenschaft andererseits scheinen für sich genommen jeweils triftige Gründe<br />

zu sein, eine Ehe einzugehen. Es fällt beinahe schwer, zu verstehen, daß die<br />

Bandbreite an Empfindungen, die persönliche Haltung zur Liebe und Ehe in einer<br />

kleinen, überschaubaren Gemeinschaft, in der alle mehr oder weniger das<br />

Gleiche tun, so weit auseinanderliegen können. 115 Während es Wariat weitge-<br />

115 Vgl. dazu Bengt Danielssons Überlegungen aus Ostpolynesien die da lauten, eine Ehe<br />

könne gar nicht schief gehen, da ohnehin alle Jungen oder Mädchen einer zahlenmäßig klei-<br />

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