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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Einleitung<br />

Ausblendung historischer Bezüge, mit der Beschreibung der momentan beobachtbaren<br />

sozialen Strukturen und ihrer Funktionen zufriedengeben, 17 der Strukturalist<br />

nach einem ewigen, allgemeingültigen Modell hinter den Erscheinungen<br />

suchen, der Funktionalist in positivistischer Manier nicht nach Bedeutung, sondern<br />

nach funktionalem Nutzen fragen, der Kulturmaterialist abwägen, ob die<br />

beim gol verbrauchten Kalorien durch die vielen, das Spektakel begleitenden<br />

Festessen, nicht mehr als wettgemacht werden usw.<br />

Eine Ethnologie, wie sie mir für dieses Projekt vorschwebte, verweigert sich der<br />

ganz großen, modellbildenden Abstraktion und möchte das zu untersuchende<br />

Phänomen auch nicht in einem interkulturellen Kontext mit anderen, auf den<br />

ersten Blick vielleicht vergleichbaren Erscheinungen in Beziehung setzen. Statt<br />

dessen steht hier eindeutig das lokale Handeln im Vordergrund. Meine Arbeit<br />

weist, auf das gol zu beziehende, historische Zusammenhänge konkret und funktionale<br />

Zusammenhänge logisch nach. Kulturelle Bedeutungen versucht sie in<br />

ihren Strukturen zu erkennen und die Symbole, die daran geknüpft sind, verstehend<br />

zu erfassen. Sie benennt die handelnden Akteure und macht deutlich, daß<br />

alles, was heute über ein Phänomen ausgesagt wird, morgen in Teilen schon<br />

wieder ergänzungsbedürftig ist, weshalb eine Analyse Raum für zukünftige<br />

Entwicklungen lassen muß. Eine Theorie über die Bedeutung eines derart vielschichtigen<br />

Phänomens, wie es das gol darstellt, ist also möglich, die Gründe für<br />

Bedeutungszuweisungen im Rahmen einer solchen Theorie müssen aber, wie<br />

gesagt, offengelegt werden. Einschränkend füge ich jedoch hinzu, daß jede<br />

Theorie, aber auch schon jeder Versuch der Analyse, notwendig Auslassungen<br />

vornehmen muß, unvollständig sein und unvollkommen bleiben wird. Ein Umstand,<br />

der dem Ethnologen, der um die Beschränktheit seiner Forschung weiß,<br />

jederzeit schmerzhaft vor Augen steht. James Clifford meinte, das Problem auflösen<br />

wollend, im Hinblick auf die Dogon Forschungen von Marcel Griaule, es<br />

sei nicht möglich, einem Ethnologen „falsche Ergebnisse“ nachzuweisen.<br />

Schließlich, so Clifford – der gerade aufgrund dieser Haltung als der erste postmoderne<br />

Ethnologe bezeichnet werden kann – beruht jede Begegnung zwischen<br />

dem Ethnologen und den Mitgliedern der Kultur die er untersucht, auf einem<br />

wechselseitigen kommunikativen Prozeß, der auch schöpferische Züge trägt und<br />

letztlich in so etwas wie „Erfindung von Kultur“ mündet (Clifford 1983:121;<br />

Wagner 1981). Ich stimme dem zwar grundsätzlich zu, meine aber einschränkend<br />

doch, daß der Ethnologe den Mut zur Deutung haben soll und muß. Deutung<br />

auf der Grundlage von sorgfältig zusammengetragenem Material und einer<br />

möglichst transparent gemachten Methode, wird nicht immer ganz „richtig“, sicher<br />

aber auch nicht ganz „falsch“ sein. Sie stellt auf der Grundlager der in ihr<br />

angestrebten Transparenz, hoffentlich einen besseren Näherungswert an die so-<br />

17 Über die Haltung von Radcliffe-Brown zur Notwendigkeit der Einbeziehung historischer<br />

Dimensionen wird allerdings gestritten (vgl. Kohl 2000; Keesing & Strathern 1998).<br />

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