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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Gol als Ritual? Versuche zur Ritualtheorie<br />

Veranstaltung zu tun hat: man kann daran teilnehmen, muß aber nicht; man kann<br />

am Turm mitbauen, muß aber nicht – manch einer arbeitet nur einen halben Tag<br />

mit, ein anderer drei Tage, wieder ein anderer die gesamte Bauzeit. Feste Regeln<br />

gibt es hier keine, lediglich vom Baumeister wird erwartet, daß er den Prozeß<br />

von Anfang bis Ende begleitet. Die Teilnahme am Sprung selbst ist auch dann<br />

noch möglich, wenn der Kandidat erst am Tag der Veranstaltung dazustößt, etwa<br />

weil er aus einem anderen Dorf kommt, krank war oder einfach keine Lust<br />

hatte, mitzubauen. Nicht selten springen Männer aus verschiedenen Dörfern, die<br />

sich untereinander kaum kennen, gemeinsam von einem Turm, um sofort anschließend<br />

wieder in ihre eigenen Dörfer zurückzukehren. 266 Außerdem findet,<br />

auch das ist sehr bemerkenswert, keine Status- oder Namensänderung statt. Und<br />

zwar weder in positiver Hinsicht, nach einem erfolgreich absolvierten Sprung,<br />

noch in negativer, nach einem schlechten Sprung oder gar einem Rücktritt. Es<br />

fehlt also der direkte funktionale Rückbezug zwischen der Teilnahme am gol<br />

und anderen, wichtigen Institutionen, der ja, wie eben ausgeführt, integraler Bestandteil<br />

des Rituals ist, so wie ich es mit Turner skizziert habe. Im Gegensatz<br />

dazu steht die Beschneidung, die Teil des obligatorischen warsangul Systems ist<br />

und die wir zweifellos als ein Initiationsritual der Sa betrachten müssen (vgl.<br />

Kap. 10.5). Die Teilnahme an der Beschneidung ist für alle Mitglieder einer Altersklasse<br />

obligatorisch und stellt die Grundlage für jeden weiteren Aufstieg innerhalb<br />

des warsangul Systems dar (vgl. Kap. 12.1). Während der Vorbereitung<br />

und der Durchführung der Beschneidung bilden die Teilnehmer am Ritual zweifelsohne<br />

eine „communitas“. Die Jungen verbringen mehrere Wochen mit ihren<br />

Vätern in den Männerhäusern, wo sie von ihren Müttern streng getrennt sind.<br />

Wenn sie, nach den Wochen der Trennung, wieder mit diesen zusammenkommen,<br />

tragen sie neue Namen und sind der Welt der erwachsenen Männer ein bedeutendes<br />

Stück nähergekommen. Das gleiche gilt im Wesentlichen auch für<br />

alle anderen warsangul Rituale. Wenn, aus welchen Gründen auch immer, eine<br />

Beschneidung oder ein warsangul Ritual scheitert, hat dies gravierende Konsequenzen<br />

nicht nur für den Initianden, sondern auch für alle anderen Teilnehmer,<br />

da hier eine vielfach größere Bandbreite an der Zurschaustellung derjenigen Fähigkeiten,<br />

die das Ethos der Sa bestimmen, von einem Mann (und auch seinen<br />

Mentoren und seiner Familie) gefragt sind: diplomatische und politische Begabung,<br />

rhetorisches Talent, wirtschaftliches Geschick, gärtnerisches Können, Erfolg<br />

in der Schweinezucht, Verläßlichkeit als Ehemann und Familienvater (vgl.<br />

Kap. 12). Beim gol ist das, wie wir oben gesehen haben, keineswegs der Fall,<br />

hier geht es (lediglich) um den Beweis von Mut und Kraft. Überdies beschränkt<br />

sich das Risiko zu scheitern ausschließlich auf das Individuum und besteht (lediglich)<br />

darin, vom Sprung zurückzutreten (ohne gravierende soziale Konsequenzen)<br />

oder aber, durch einen Unfall, einen individuellen physischen Schaden<br />

zu erleiden.<br />

266 Dies trifft vor allem dann zu, wenn es sich um ein besonders großes gol handelt, zu dem<br />

mitunter hunderte Sa aus allen Teilen ihres Siedlungsgebietes zusammenkommen.<br />

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