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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Interpretationsversuche des Nicht-Mitteilbaren<br />

eine positive Bilanz des Einzelhandels besitzt, und daher für die Existenz nicht<br />

weniger Menschen, derjenigen nämlich, die vom Handel leben, relevant ist, bedeutet<br />

das noch lange nicht, daß sich dieser Umstand in der Weihnachtsgeschichte<br />

oder der Christmette direkt niederschlagen müßte. Schon Malinowski<br />

hat gewußt, daß man als Ethnologe zwischen tatsächlichem Handeln und den<br />

zugrundeliegenden Regeln zu unterscheiden hat (Malinowski 1985: 89). Für unsere<br />

Betrachtung bedeutet dies vor allem eines: wir haben es mit unterschiedlichen<br />

Schichten zu tun, die sich gegenseitig überlagern, aber latent vorhanden<br />

bleiben und daher alle beachtenswert sind, will man zu einer möglichst umfassenden<br />

Sichtweise des Phänomens gelangen (vgl. Transdifferenz, Bargatzky<br />

2006:256). So ist zu erklären, weshalb es Sinn macht, bei der Analyse eines<br />

Phänomens wie dem gol polyparadigmatisch vorzugehen: unterschiedlichen Bedeutungsschichten<br />

muß man aus unterschiedlichen Blickwinkeln entgegentreten,<br />

weil das gol eben auf verschiedensten Ebenen Bedeutungen entfaltet. Was bedeutet<br />

das konkret?<br />

Wir werden die das gol umgebenden Mythen einer strukturalistischen Analyse<br />

unterziehen und fragen, ob wir dabei auf Motive stoßen, die sich auch in anderen<br />

Mythen der Sa finden lassen. Wir wollen versuchen, symbolische Dimensionen<br />

des gol zu erfassen und wiederum überprüfen, ob uns diese, oder ähnlich<br />

gelagerte Formen, auch anderswo begegnen. Wir werden die den Jahreszyklus<br />

begleitenden kultischen Handlungen eingehend betrachten, miteinander vergleichen<br />

und uns fragen, ob bzw. wie sich das Turmspringen in die Abfolge dieser<br />

Veranstaltungen einfügt. Schließlich wollen wir nach Funktionen der Veranstaltung<br />

suchen und danach fragen, ob bzw. wie sich diese sinnvoll in die vorangegangene<br />

Betrachtung eingliedern lassen, oder ob es sich hier möglicherweise um<br />

so etwas wie „Kultur ohne Funktion“ handelt 231 . Zum Schluß wollen wir prüfen,<br />

ob die Veranstaltung heutzutage überhaupt noch mit den in den Mythen, Symbolen<br />

und Ritualen festgehaltenen Vorstellungen korrespondiert, oder ob sie nicht<br />

längst neue, davon unabhängige Bedeutungen angenommen hat.<br />

231 Ich schulde Markus Verne Dank, der im WS 2005/06 an der Universität Bayreuth eine<br />

Veranstaltung unter dem Titel ‚„Kultureller Unsinn“? Kultur jenseits von Sinn und Funktion’<br />

abhielt und mir einige wertvolle Hinweise zu diesem spanneden Thema vermittelt hat. Insbesondere<br />

verwies er auf Meads Arbeit bei den Mundugumor (Mead 1959); Turnbulls Ethnographie<br />

der Ik (Turnbull 1973) und Wassmanns Beitrag zu den Ypno (Wassmann 1993), die<br />

in der Tat einige bemerkenswerte Beispiele für „dysfunktionale“, „unordentliche“ oder gar<br />

„fehlende“ Ordnungsvorstellungen bereithalten.<br />

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