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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Zur Entstehung von kastom als Lebensform & Ideologie<br />

den kastom Sa bis zum heutigen Tag immer wieder erzählt wird und als ein weiterer<br />

Gründungsmythos der lokalen kastom Bewegung gelten kann. Wir werden<br />

ausführlich in Kap. 14.1 auf diese Geschichte eingehen, hier genügt es die Eckdaten<br />

zu erwähnen: Warisul, ein Mann, der ursprünglich aus Bunlap kommt, und<br />

nun in Ranwas den christlichen Namen Luke angenommen hat, streut das Gerücht,<br />

daß von Bunlap eine „general revolt“ (Jolly 1994b: 45) ausgehe. Außerdem<br />

meldet er dem Church Minister von Ranbutor, einem Einheimischen mit<br />

Namen Bilaol, daß Bong, der Sohn Chief Meleun Temats, ein Gewehr besitze<br />

und damit andere bedrohe (Jolly 1994b:45). Bilaol leitete Lukes Beschwerde an<br />

den australischen Pastor Smith weiter, der sich mit Hilfe des Pflanzers Oskar<br />

Newman unverzüglich per Radiotelefon mit den Regierungsbehörden in Santo<br />

in Verbindung setzt. Seine Nachricht ruft tatsächlich eine zwanzigköpfige Regierungstruppe<br />

auf den Plan, die bereits am nächsten Tag, den 3. Juni 1952 in<br />

Pentecost eintrifft und mit militärischer Gewalt alle kastom Dörfer nach bewaffneten<br />

Aufrühren absucht. Da man nichts findet und auch vom Hauptverdächtigen<br />

Bong jede Spur fehlt, nimmt man die beiden Chiefs von Bunlap, Meleun<br />

Temat und Molsuta sowie zwei andere alte Männer in Gewahrsam. Schließlich<br />

kommt es einige Tage später zu einem Gefangenenaustausch: Bong, zwei seiner<br />

Brüder und noch zwei weitere junge Männer ergeben sich den Regierungssoldaten,<br />

die Alten werden dafür freigelassen. In den darauffolgenden Monaten macht<br />

man Bong in Santo den Prozeß. Da man ihm und seinen Leuten jedoch keine<br />

ernsthaften Vergehen nachweisen kann, entläßt man sie mit der Auflage, ein gol<br />

zur Unterhaltung der französischen Verwaltung und einiger ausgewählter Gäste<br />

auszurichten, was im nächsten Jahr dann auch tatsächlich so geschieht.<br />

Die Position der Chiefs Meleun Temat und Molsuta wird durch den Zwischenfall<br />

zunächst geschwächt, werden sie durch die Razzia der Regierungstruppen<br />

doch selbst zu ahnungs- und hilflosen Opfern derjenigen Macht, durch die sie<br />

ihre Autorität beziehen. Es ist wohl kein Zufall, daß Meleun Temat kurz nach<br />

der militärischen Intervention der Europäer seine Macht niederlegt. Es übernimmt<br />

nun für kurze Zeit Chief Molsuta seine Position, gleichzeitig versucht der<br />

alte Meleun Temat seinen Titel an seinen Sohn Wamol weiterzugeben, so daß<br />

die tatsächlichen Machtverhältnisse unklar bleiben. Als rechte Hand von Meleun<br />

Temat mag Molsuta gute Arbeit geleistet haben, als Chief hingegen ist er offenbar<br />

überfordert und kann die Position nicht voll ausfüllen. Mit einer der Gründe<br />

dafür mag sein, daß auch Molsuta, als „Chief der ersten Stunde“, noch unter<br />

dem Stigma einer geliehenen Macht zu leiden hat. Einer Macht, die nicht in erster<br />

Linie auf seine eigene Leistung zurückgeht, wie es traditionell der Fall gewesen<br />

wäre, sondern auf die Autorität der Kolonialherren. Molsuta ist nur etwa<br />

zwei Jahre lang ein schwacher Chief, der sich von der Autorität des immer noch<br />

lebenden Meleun Temat offenbar nie wirklich emanzipieren kann. Als Meleun<br />

Temat stirbt, ereilt Molsuta unmittelbar nach ihm das gleiche Schicksal. Die<br />

mündlichen Überlieferungen berichten, daß nur fünf Tage zwischen Meleuns<br />

Tod und demjenigen Molsutas vergehen. Bis heute geht das Gerücht um, der<br />

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