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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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PROLOG<br />

Ich schäme mich nicht, zu bekennen,<br />

dass ich nicht weiß, was ich nicht weiß.<br />

Marcus Tullius Cicero (106 – 43 v. Chr.)<br />

I. Wie es dazu kam…<br />

In den Jahren 1997 und 1998 arbeitete ich als Research Fellow für das Institute<br />

of Pacific Studies der University of the South Pacific in Suva. Dort gehörte es zu<br />

meinen Aufgaben, einen ethnographischen Film über das Kavaritual in Ozeanien<br />

zu drehen. Ende 1997 führten mich meine Recherchen für dieses Projekt nach<br />

Vanuatu. Mein Plan war, die Insel Maewo aufzusuchen, weil hier die Kava aller<br />

Wahrscheinlichkeit nach vor gut 3500 Jahren zuerst kultiviert wurde. Zufällig<br />

stieß ich am zweiten Tag meines Aufenthaltes im Nationalmuseum in Port Vila<br />

auf eine kleine Ausstellung mit Photos von kastom Sa aus dem Dorf Bunlap in<br />

Pentecost. 1 Zu sehen waren Bilder einiger nur mit der typischen Penisbinde bekleideten<br />

Jungen und Männer bei alltäglichen Arbeiten in den Gärten und im<br />

Dorf. Diese Bilder berührten mich. Ich änderte meine Reisepläne und beschloß,<br />

nicht nach Maewo, sondern nach Pentecost zu fahren. Auf der nur schwer zugänglichen<br />

Südostseite der Insel kam ich dann, einige Tage später, erstmals mit<br />

den kastom Sa zusammen und verbrachte mehrere Wochen für meine Recherchen<br />

und Dreharbeiten in Bunlap. Bereits bei diesem ersten Aufenthalt lernte ich<br />

einige der Männer kennen, die später meine Freunde und Informanten werden<br />

sollten. Die Begegnung mit den kastom Sa beeindruckte mich nachhaltig. In den<br />

Monaten nach meiner ersten Reise zu ihnen erwachte in mir der Wunsch, mehr<br />

über sie zu erfahren, mit ihnen zu leben und bei ihnen zu forschen. Ihre feste<br />

Überzeugung, daß ihr kastom die für sie einzig richtige Lebensart sei und ihr<br />

Widerstand gegenüber einer Vereinnahmung durch die Europäer und deren Kultur,<br />

die die Sa vor allem in Form von Schule und Kirche kennengelernt hatten,<br />

faszinierten mich ebenso wie ihr Bekenntnis zu ihrem traditionellen Lebensstil:<br />

die mit natagora 2 gedeckten Häusern, das Festhalten am traditionellen Titelsystem,<br />

die strenge Trennung von Mann und Frau sowie das Beibehalten zur traditionellen<br />

Bekleidung, die hier bis heute praktisch ausschließlich aus der geflochtenen<br />

Penisbinde (bi pis) und dem Grasrock (rahis) besteht. Ich fühlte mich an<br />

Stanley Diamond und dessen Projekt einer „kritischen Anthropologie“ erinnert,<br />

1 Für besonders bedeutsame und häufiger verwendete Begriffe aus dem Sa bzw. Bislama verweise<br />

ich auf das Glossar am Ende dieser Arbeit. Kastom ist vielfach als „religiöse Revitalisationsbewegung“<br />

beschrieben worden. Im allgemeinen versteht man darunter die Ablehnung<br />

des Christentums und die Wiederbelebung bzw. das ganz bewußte Festhalten an regional<br />

wichtigen, „traditionellen“ Werten und Bräuchen, das sich augenfällig häufig schon in der<br />

Ablehnung westlicher Kleidung zeigt (vgl. genauer Kap. 6).<br />

2 Eine von mir nicht identifizierte Palmenart mit langen, Blättern, die in Aussehen und Konsistenz<br />

in etwa denen der Pandanuspalme gleichen (lat: Pandanus tectorius)

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