VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

Gol - ein kastom der Sa: Das Mitteilbare
alle Jungen und Männer des Dorfes in geschäftigem Hin und Her versammelt haben, ist seine
erste Handlung, das angezeichnete Fundament um etwa ein Drittel zu verkleinern. Niemand
widerspricht ihm dabei, denn er ist der Organisator des Turmes und sein Vater hat das Filmteam
geschickt, das eine Million Vatu bezahlen wird. 180
(Thorolf Lipp. Bunlap, Juni 2002)
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang nicht so sehr, daß Warisus damit vor
aller Augen die Alten brüskiert, sondern daß der Turm heutzutage auch in Bunlap
eher unter „zweckrationalen“ Geschichtspunkten gebaut wird. Man kann,
mit den Worten von Edward T. Hall, einen Wandel vom „Formalen“ zum
„Technischen“ beobachten (Hall 1966). Warisus’ Fundament ist gerade so breit
wie nötig. So spart er als Organisator einerseits Arbeit beim Turmbau, geht aber
andererseits ein höheres Risiko ein, weil der Turm, bei gleicher Höhe und geringerer
Breite, natürlich auch instabiler ist und leichter umfallen kann.
Betrachten wir abschließend den nun fertig gebauten Turm aus einigem Abstand:
die nicht selten über 20 Meter hohe Holzkonstruktion gibt fraglos ein
überaus eindrucksvolles Bild ab. Wie anders, wenn nicht als eine Art Körper,
sollte man die aufrecht stehende, sich in ihrer Künstlichkeit deutlich von der
umgebenden, chaotischen Natur abhebende Konstruktion bezeichnen? 181 Tatsächlich
sind die einzelnen Teile des Turmes in Analogie zum menschlichen
Körper benannt, der Turm selbst jedoch wird nicht, wie oft fälschlicherweise
behauptet, einfach „Körper“ genannt. Vielmehr bezeichnet man den Turm mit
tarbe-gol „der Körper des gol“. Bleiben wir bei der Annahme, daß sich der Begriff
gol von kolan – „Spiel“– ableitet, müßte man tarbe-gol wörtlich übersetzen
mit „der Körper des Spiels“ oder „der Körper des Spielzeugs“. Die Bezeichnungen
für die einzelnen Teilbereiche des Turmes orientieren sich dabei an Bezeichnungen,
die man auch für den menschlichen Körper verwendet. Betrachtet
man den Turm von vorne, so sieht man mehrere übereinandergestaffelte Ebenen
von Sprungbrettern, denen entsprechende Körperbereiche zugewiesen sind: Fuß,
Knie, 182 Unterleib, Brust, Brustwarze, obere Brust, unter den Armen, Kehle,
Schulter, Kopf (vgl. Abb. 27. Die Seiten des Turmes nennt man si gol (die Seiten
des Spiels), die vier Ecken sin teban (zusammengebundene Ecken), die
Rückseite alu gol (der Rücken des Spiels), das Innere des Turmes lon te gol (im
180 Dieser Vorgang des Anzeichnens und Aushebens des Fundamentes ist auch im Film
„Mann braucht Mut“ (ZED 2003) zu sehen. Allerdings wird die Korrektur durch Warisus hier
nicht gezeigt oder gar kommentiert.
181 Mary Douglas (2004) hat im Rahmen ihrer strukturalistischen Symboltheorie darauf hingewiesen,
daß Symbole vielfach vom menschlichen Körper ausgehend gebildet werden. Es
gibt dabei eine ungeheuer große Vielfalt von kulturellen Bedeutungsvarianzen, fast alles kann
in Analogie zum Körper verstanden werden. Wie das konkret geschieht, ist allerdings abhängig
von der Sozialstruktur einer Gesellschaft, so daß (Körper-) Symbole immer auch etwas
über die innere Verfaßtheit, oder, um bei der von mir gewählten Terminologie zu bleiben, das
Ethos einer Gesellschaft aussagen.
182 Ajibtal bedeutet wörtlich übersetzt nicht „Knie“ sondern „schubse die Liane“ und könnte
eine Anspielung darauf sein, daß man den zu lange zögernden Jungen auf den untersten Leveln
mitunter einen beherzten Stoß gibt und sie so unfreiwillig „auf die Reise“ schickt.
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