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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Zur Entstehung von kastom als Lebensform & Ideologie<br />

Krankheit in den Norden der Insel zu fliehen (Monnier 1991: 13). Aus allen diesen<br />

Gründen zählt es, so Margaret Jolly (1994a:36), unter anderem zu Le Furs<br />

Ambitionen auf der Südostseite der Insel, in der Baie Barrier, eine Mission zu<br />

errichten. Um überhaupt erste Kontakte zu den hier lebenden Sa etablieren zu<br />

können, wandert er immer wieder durch das Inselinnere zur Ostküste. Zunächst,<br />

um sich nach einem geeigneten Ort für eine Missionsstation umzusehen. Später,<br />

um Arbeitskräfte für den Bau der Station zu requirieren. Obwohl die Arbeit bezahlt<br />

ist, stößt offenbar weder die Vorstellung für den weißen Missionar arbeiten<br />

zu sollen, noch überhaupt die Aussicht auf dessen Besuche bei den Sa der Ostseite<br />

auf Gegenliebe. Während Lane schreibt: „The natives were not overly enthusiastic<br />

about these visits“ (Lane 1956:145), spricht Jolly sogar von handfesten<br />

Auseinandersetzungen zwischen Le Fur und den Sa auf der östlichen Inselhälfte.<br />

„The missionary used to ride periodically across the island on his horse, and was trying to cut<br />

a track from Wanur to Lonbwe. To do this he hacked down and trampled on some young Coconut<br />

trees which belonged to Tawerere, an old man from Lonbwe. The old man was outraged,<br />

and often tried to block his way. On one occasion a heated argument developed between<br />

them, and Le Fur shouted to him not to impede the work of God. Tawerere replied<br />

‘Perhaps Your God created you, but my God, Barkulkul, put me here. Let us see whose god is<br />

strongest. The man whose god is weakest will die first.’ ”<br />

(Jolly 1994a: 35).<br />

Tatsächlich ist es Le Fur, der kurz darauf bei einem Bootsunfall im „mer sauvage“<br />

vor der Küste Pentecosts ertrinkt. Während die noch nicht zum Christentum<br />

konvertierten Sa ihre Überlegenheit bestätigt sehen, sind die katholischen Konvertiten<br />

in Agonie – die Macht ihres neuen Gottes scheint keineswegs unerschöpflich.<br />

Man kann diesen, und andere, in den Unterlagen der Missionsarchive<br />

teils ausführlich festgehaltene Zwischenfälle, als Ausgangspunkt eines Prozesses<br />

deuten, der schließlich zum Beginn der kastom Bewegung führte. In Vanuatu<br />

kursierten, und kursieren bis heute, Geschichten von weißen Missionaren,<br />

die den einheimischen Göttern überlegen sind. In der Regel sterben die einheimischen<br />

Aufwiegler, während die Missionare unverwundbar zu sein scheinen<br />

und ihr Gott als Sieger aus Konflikten hervorgeht (Jolly 1994a: 36f). Nicht so in<br />

Südpentecost, denn hier, so lautet die mündliche Interpretation der kastom Anhänger,<br />

trägt der alte Tawerere den Sieg davon. Barkulkul, der Schöpfergott der<br />

Sa, erweist sich dem Gott der Weißen als überlegen. Kastom entwickelt sich<br />

demnach einerseits in der Abgrenzung zur fremden, christlichen Ideologie, andererseits<br />

aber auch in Abgrenzung zu denjenigen Mitgliedern der eigenen<br />

Sprachgemeinschaft, die sich diese fremde Ideologie, die im Bislama bald den<br />

Namen skul (Schule), erhalten wird, zu eigen zu machen beginnen. Ich meine,<br />

dieser Vorfall begünstigt eine Mythenbildung zu tun, derzufolge zum einen die<br />

Schwäche des Gottes der weißen Männer belegt wird, die zum anderen aber den<br />

zweifelsohne nach und nach aufbrechenden, bis heute fortbestehenden Konflikt<br />

zwischen Konvertiten und Nicht-Konvertiten unter den Sa zum Thema hat. Im<br />

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