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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Einleitung<br />

Ein Phänomen wie das Turmspringen näher zu untersuchen und die oben genannten,<br />

stereotypen Interpretationen zu überprüfen, ist eigentlich ein typisches<br />

Forschungsfeld für die Ethnologie. Diese hat sich dafür jedoch bislang nur sehr<br />

zögerlich interessiert. Eine Vernachlässigung die verwundert, denn der Brauch<br />

gehört nicht nur zu den spektakulärsten Ereignissen in ganz Ozeanien, sondern<br />

er wirft darüber hinaus zweifelsohne auch für den Ethnologen einige spannende<br />

Fragen auf: Um was für eine Veranstaltung handelt es sich hier eigentlich? Kann<br />

man überhaupt von einem Ritual sprechen, gar von einem Fruchtbarkeits- oder<br />

Initiationsritual? Steht die Veranstaltung wirklich in Zusammenhang mit der<br />

Yamsernte? Hat sie etwas mit den aufwendigen und langwierigen Titelkäufen zu<br />

tun, die fast überall in diesem Teil Melanesiens ein wichtiger Bestandteil der<br />

Gesellschaft sind? In ethnologischen Fachkreisen waren zu Beginn dieser Forschung<br />

tatsächlich nur zwei kürzere Aufsätze zum Thema erschienen. Die australische<br />

Anthropologin Margaret Jolly darf momentan wohl als beste Kennerin<br />

der Sa gelten und ist mit mehreren einschlägigen Arbeiten zu deren Kultur hervorgetreten<br />

(Jolly 1979; 1982; 1991; 1994a). Mit dem Turmspringen hat sie sich<br />

erstmals etwas ausführlicher in einem in jüngerer Zeit erschienenen Artikel beschäftigt<br />

(Jolly 1994b). Margaret Jolly begründet ihr nur zögerliches Interesse<br />

an dem spektakulären Brauch mit der Auskunft, sie habe als Ethnologin nicht<br />

mit den Touristen verwechselt werden wollen, die an einigen Tagen im April<br />

und Mai ausschließlich des Turmspringens wegen nach Pentecost kämen (Jolly<br />

1994a: 133). Diese Rechtfertigung läßt einen gewissen Standesdünkel erkennen,<br />

der für die bislang nur sehr unzureichende Erforschung des Turmspringens<br />

durch die Ethnologie zumindest mitverantwortlich zu sein scheint. Der Titel des<br />

11-seitigen Artikels „kastom as Commodity“ deutet ihr vordringliches Erkenntnisinteresse<br />

an: sie ist vor allem an den durch den zunehmenden Tourismus immer<br />

wichtiger gewordenen politisch-wirtschaftlichen Implikationen des Brauches<br />

interessiert bzw. daran ob und wie dessen zunehmende Kommerzialisierung<br />

zu seiner Profanisierung geführt hat oder nicht. Dabei kommt sie zu dem<br />

Schluß, daß sich das Turmspringen in den Jahren der Kolonialzeit deutlich verändert<br />

habe und der Tourismus und die damit verbundene Monetarisierung nicht<br />

ohne Einfluß auf den Brauch geblieben sei. Bei den Auseinandersetzungen auf<br />

der politischen Ebene stehe, so Jolly, vor allem die Frage im Mittelpunkt, wer<br />

das Recht für sich in Anspruch nehmen dürfe, traditionelle Turmspringen zu<br />

veranstalten. Soll die Durchführung des Brauches auf seinen Ursprungsort, die<br />

südliche Hälfte der Insel Pentecost, beschränkt bleiben, auf ganz Pentecost ausgedehnt<br />

werden, oder sollte man die Sache gar als nationales Kulturgut betrachten<br />

und dementsprechend überall in Vanuatu vermarkten dürfen? Schließlich<br />

stellt sich sogar die Frage, ob die traditionellen „Rechte“, sozusagen die „intellektuellen<br />

Eigentumsrechte“ an einem Ritual wie dem Turmspringen an andere<br />

Ethnien „verkauft“ werden können? 20 Zur Bedeutung des Turmspringens inner-<br />

20 Diese Frage wurde in der jüngeren Geschichte des gol in der Tat mehrfach relevant, als<br />

andere Ethnien, auch solche von anderen Inseln, deren politische Vertreter das gol gerne als<br />

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