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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Zur Entstehung von kastom als Lebensform & Ideologie<br />

daß Tattevins Bereitschaft zum Synkretismus mit ein Grund dafür ist, daß die Sa<br />

der Ostküste nach und nach die Überzeugung entwickelten, daß der Gott der<br />

Weißen und ihr eigener Gott Barkulkul identisch seien. Ja sie begannen sogar,<br />

Barkulkul als denjenigen zu betrachten, der an Ort und Stelle zunächst einmal<br />

sie selbst und erst danach die weißen Neuankömmlinge geschaffen hatte, die<br />

sich schließlich von Südpentecost aus in die ganze Welt verstreuten. 41 Mit anderen<br />

Worten integrieren sie selbst aktiv die fremde Kultur, statt sich von dieser<br />

nur passiv vereinnahmen zu lassen.<br />

6.3 Warsangul, Kolonialmacht, Chiefs<br />

Bei unserer Betrachtung, wie es überhaupt zur kastom Bewegung in Südpentecost<br />

gekommen ist, blieb bislang ein weiterer, kaum hoch genug einzuschätzender<br />

Umstand unerwähnt: die Führung der Ostküsten Sa durch eine handvoll charismatischer<br />

Männer, ohne deren außergewöhnliche Persönlichkeit und Führungsstärke<br />

es die kastom Bewegung möglicherweise keinen Bestand gehabt<br />

hätte. Schon im Jahr 1956 bemerkt Robert Lane:<br />

„The role of individuals should not be overlooked…. There have been individuals who have<br />

had the acuity to understand events and the strength of character to organize the communities<br />

and to hold them in what they believe to be the safest channels.” (Lane 1956:179)<br />

Anders als im Süden und in der Mitte des Vanuatu Archipels existiert bei den<br />

Kulturen des Nordens ursprünglich keine hereditäre Macht. Statt dessen gibt es<br />

in jedem Sa Dorf gleichberechtigte Männer, die warsangul, die in etwa dem entsprechen,<br />

was Marshall Sahlins „Big Men“ genannt hat (Sahlins 1963). Ein<br />

Mann ist dann ein vollwertiger warsangul, wenn er mehrere Kinder gezeugt und<br />

eine Mindestanzahl an symbolischen warsangul Titeln erworben hat, über ein<br />

freundliches, vermittelndes Wesen verfügt, Frieden stiftet, wann immer es möglich<br />

ist und keine Angst vor Krieg hat, wenn es keinen anderen Ausweg mehr<br />

gibt. 42 Zusätzlich zu dieser, in erster Linie durch eigene Lebensleistung erworbenen<br />

Anerkennung, kennen die Sa außerdem erbliche loas Titel, die ihrem Träger<br />

bestimmte religiöse Funktionen zuweisen. Diese Titel gehen meist vom Vater<br />

auf den Sohn über.<br />

Die europäischen Kolonialmächte waren im Sa Gebiet nur sehr selten präsent,<br />

einen der wenigen direkten Eingriffe vollzogen sie während der weiter oben geschilderten<br />

gewalttätigen Auseinandersetzungen Mitte der zwanziger Jahre. Es<br />

liegt auf der Hand, daß sich eine koloniale Verwaltung nach dem Prinzip der<br />

41 Ich werde diese Behauptung unten noch weiter ausführen und stichhaltig begründen.<br />

42 Man kann mit Fug und Recht behaupten, daß diese Beschreibung auf eine relativ große<br />

Anzahl an Männern zutrifft. Tatsächlich verfügen aber nicht alle diejenigen, auf die diese Beschreibung<br />

zutrifft, über das gleiche Maß an Ansehen, wie wir später noch ausführlich sehen<br />

werden. Diese Hinweise sollen hier genügen, wir werden uns dann in Kap. 12.1 und 18.8<br />

noch ausführlich mit dem komplexen Titelsystem beschäftigen und damit, in welchem Verhältnis<br />

dieses zum Turmspringen steht.<br />

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