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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Zur Entstehung von kastom als Lebensform & Ideologie<br />

Kern dieses Mythos steht, daß der fremde Missionar sein Ziel nicht erreicht hat,<br />

sein Gott nicht unbesiegbar ist und eine Missionierung des Südostteils der Insel<br />

vorläufig abgewendet wird. Die Tradition hingegen, die alten Götter und die<br />

überlieferte Art zu leben, wird positiv gedeutet. Vielleicht ist das der Zeitpunkt,<br />

an dem eine eigenständige Entwicklung von kastom einerseits und skul andererseits<br />

beginnt. Mit anderen Worten: in einem sich langsam entwickelnden religiös-kulturellen<br />

Gegensatz, nimmt die kastom Ideologie anhand dieser und ähnlicher<br />

Geschichten nach und nach Gestalt an. 34 Die historische Wahrheit freilich<br />

ist insofern differenzierter, als daß der Tod Le Furs die Gründung einer ständigen<br />

Missionsstation im Osten nicht aufhalten kann, sondern lediglich unwesentlich<br />

verzögert. Am 21. August 1907 werden, im Beisein aller Maristen der Insel<br />

Pentecost sowie des extra aus Vila angereisten Bischofs Douceré, fünfundvierzig<br />

Erwachsene und vierzehn Kinder getauft. Trotz dieser ersten Erfolge kann<br />

andererseits keine Rede davon sein, daß die Christianisierung nun schnell und<br />

erfolgreich voranschreiten würde.<br />

Nach einem kurzen Zwischenspiel von Eugène Bertreux, Alphonse Ardouin und<br />

Vincent Jan übernimmt ein Mann die Mission, dessen Berufung nach Pentecost<br />

sich als ausgesprochener Glücksfall für die Sa erweisen sollte und die Entwicklung<br />

von kastom nachhaltig positiv beeinflußte. Von 1910 bis 1929, so lange wie<br />

nie wieder irgendein anderer Missionar vor oder nach ihm, lebt und arbeitet Père<br />

Elie Tattevin in Südpentecost. Tattevin kommt mit gerade erst 26 Jahren nach<br />

Pentecost. Er stammt aus Pornic an der französischen Atlantikküste, nahe der<br />

mittelalterlichen Stadt Nantes. Der Kirchenhistoriker Monnier zeichnet ein sehr<br />

menschliches Bild dieses Mannes und beschreibt ihn als stets hilfsbereiten, zupackenden,<br />

zugleich aber “bärigen“ und mitunter „grummeligen“ Typen, der<br />

nicht viel Aufhebens um sich und seine Person macht und überdies einem guten<br />

Schluck gegenüber nicht abgeneigt ist. Der am Meer aufgewachsene Tattevin<br />

erweist sich als guter Seemann, was angesichts der schwierigen Bedingungen<br />

um Pentecost ein unschätzbarer Vorteil ist. Zu seinen ersten Aktivitäten zählt die<br />

Anschaffung eines Bootes mit Benzinmotor, das die Navigation sicherer und<br />

leichter machen soll. Eine Investition, die sich, trotz dauernder Probleme mit der<br />

anfälligen Maschine, langfristig bezahlt macht und zur besseren Anbindung des<br />

abgeschiedenen Ostens maßgeblich beiträgt (Monnier 1991:53). Seiner persönlichen<br />

Einsamkeit begegnet er durch engen Kontakt zu seinen Schützlingen, deren<br />

Sprache und Kultur er schnell und mit großer Ernsthaftigkeit erlernt. Tattevins<br />

erstaunlich unvoreingenommenen und genauen ethnographischen Beobachtungen<br />

sind die wichtigsten frühen Quellen zur Kultur der Sa. Er veröffentlicht<br />

Aufsätze zu den Themen Mythologie und Religion, Ritual und Politik im „Anthropos“<br />

(1928; 1929; 1931) sowie in einschlägigen kirchlichen Journalen<br />

34<br />

Ob es wirklich diese eine Begebenheit war, die sich als schicksalhaft für die weitere Entwicklung<br />

der kastom Ideologie in Pentecost erweisen sollte, läßt sich heute nicht mehr rekonstruieren.<br />

Hier soll der Vorfall selbst, sowie seine mythische Verklärung, lediglich beispielhaft<br />

vorgestellt werden.<br />

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