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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Gol als Ritual? Versuche zur Ritualtheorie<br />

Ordnung eher aufheben als direkt bestätigen, was ebenfalls wieder darauf hindeutet,<br />

daß wir es hier mit einer Form des Spiels und nicht mit einem Ritual zu<br />

tun haben.<br />

Muß man das gol also als so etwas wie „Kultur mit Bedeutung (künstliche Geburt)<br />

aber ohne Zweck“ betrachten, oder hängt nicht doch, wenigstens indirekt,<br />

funktional alles mit allem zusammen? Um sich dieser Fragestellung anzunähern,<br />

müssen wir zunächst überprüfen, ob es nicht wenigstens implizite Rückbezüge<br />

zwischen gol und anderen Institutionen der Sa Gesellschaft gibt. Mit Hinblick<br />

auf den hier zu behandelnden Vergleich zwischen warsangul und gol könnte<br />

man vielleicht vermuten, daß eine häufige und erfolgreiche Teilnahme an den<br />

Turmsprüngen den Aufstieg im warsangul System mittelbar erleichtert oder sich<br />

vielleicht sogar proportional zueinander vollzieht, etwa in der Art, daß auf einen<br />

erfolgten Titelerwerb auch ein Sprung von einer bestimmten Höhe zu erfolgen<br />

habe oder umgekehrt. Bei genauer Prüfung zeigt sich jedoch, daß dies nicht der<br />

Fall ist. Auch ein Verhältnis zwischen erfolgreich absolvierten Sprüngen und<br />

erworbenen Titeln kann nicht beobachtet werden (s.u.). Männer, die sehr häufig<br />

springen, sind nicht unbedingt überdurchschnittlich strebsam im Erwerb von<br />

Titeln. Umgekehrt müssen hohe Titelträger keineswegs besonders gute Springer<br />

(gewesen) sein. Warsangul und gol sind funktional weitestgehend voneinander<br />

entkoppelte Veranstaltungen. Allerdings sind indirekte Wechselwirkungen zwischen<br />

beiden auch nicht vollkommen ausgeschlossen, das Zurschaustellen von<br />

Mut beim Turmsprung könnte möglicherweise einen potentiellen Mentor bewegen,<br />

einen bestimmten Titel an einen engagierten, mutigen jungen Mann zu besonders<br />

günstigen Konditionen zu verkaufen. Noch wichtiger jedoch scheint mir<br />

die Rolle zu sein, die der Organisator spielt. Er kann, wie wir bereits gesehen<br />

haben, sich als ein Mann bewähren, der andere zur Mitarbeit bewegt, über<br />

handwerkliches Geschick, Kraft und möglicherweise auch über bestimmte materielle<br />

Ressourcen verfügt, die helfen können, das Gelingen des Unternehmens<br />

gol sicherzustellen. Je nach Größe und Anzahl der Teilnehmer am Turmspringen<br />

wird er sich so auf dörflicher oder sogar auf regionaler Ebene einen Namen machen,<br />

Kontakte knüpfen, sich ins Gespräch bringen. All dies kann ihm nützen,<br />

potentielle warsangul Mentoren zu beeindrucken bzw. für sich zu gewinnen,<br />

Handelskontakte zu knüpfen, politische Verbündete zu finden und dergleichen<br />

mehr. Dennoch muß man sagen, daß es sich hier bestenfalls um indirekte Zusammenhänge<br />

handelt, die sich ergeben können, aber nicht notwendig müssen.<br />

An dieser Stelle muß schließlich noch hervorgehoben werden, daß sich das<br />

Turmspringen auch auf der ästhetisch-performativen Ebene von den warsangul<br />

Ritualen deutlich unterscheidet. Der Turmbau stellt zweifellos eine beachtliche<br />

technische Leistung dar, steht jedoch hinsichtlich seiner organisatorischtechnischen<br />

Komplexität hinter dem Ensemble der warsangul Rituale deutlich<br />

zurück. Zur Verdeutlichung genügt es, sich die ausführlichen Beschreibungen<br />

der einzelnen warsangul Zeremonien nochmals vor Augen zu führen, da sie die<br />

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