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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Zur Entstehung von kastom als Lebensform & Ideologie<br />

„indirect rule“ unter den Bedingungen der totalen Abwesenheit institutionalisierter<br />

politischer Macht nur schwer durchsetzen ließ. Um aber wenigstens eine Art<br />

„ständigen Kontakt“ zu den Sa einzurichten, führte die Verwaltung in den<br />

1940er Jahren, ein genaues Datum ist nicht bekannt, in Pentecost sogenannte<br />

„Warrant Chiefs“ oder „Government Appointed Chiefs“ ein (vgl. Jolly<br />

1994b:49; Lane 1956:170). In den kastom Dörfern von Südpentecost wurden<br />

bewährte Männer ausgesucht, die häufig, allerdings nicht immer, bereits einflußreiche<br />

warsangul waren. In den skul Dörfern wurden in der Regel diejenigen<br />

zum „Chief“ ernannt, die eine entsprechende Position innerhalb der kirchlichen<br />

Hierarchie bekleiden. 43 Der „Chief“ avancierte zum wichtigsten Vermittler zwischen<br />

den Interessen des Dorfes und der Außenwelt, also Regierung, Missionaren,<br />

Händlern, Touristen oder auch Ethnologen. Lassen wir zur Rolle der Chiefs<br />

den etwa 50-jährigen Warisul zu Wort kommen, seit Mitte der 90er Jahre einer<br />

der bedeutenden Männer Bunlaps:<br />

„Früher gab es keine Chiefs. Aber früher war es hier, im Süden, in den kastom Dörfern so:<br />

Wenn es große, bedeutende kastom Männer im Dorf gab, also warsangul, dann waren sie es,<br />

die die Dinge regelten. Mal angenommen, es gab Probleme im Dorf oder zwischen zwei Dörfern,<br />

dann waren es diese Männer, die den Konflikt beseitigten, so daß wieder Frieden<br />

herrschte. Aber jetzt, wo es Councils gibt und eine Regierung, gibt es auch Gesetze. Und diese<br />

Gesetze machen eben jetzt, daß wir entscheiden können, wer Chief ist. Die Leute folgen<br />

jetzt also dem Gesetz des Chiefs und jedes Dorf hat seinen Chief bekommen. Aber früher gab<br />

es keine richtigen Chiefs, sondern nur warsangul. Und früher wußte man eben, daß die warsangul<br />

das Dorf führen würden und Probleme beseitigten. Wenn einer Familie etwas zustieß,<br />

die in seiner Gegend lebte, dann mußte dieser Mann, dieser warsangul, sich darum kümmern<br />

und sagen: ‚so ist es, so wird es gemacht’. Aber jetzt, wie ich bereits gesagt habe, jetzt hat die<br />

Regierung ihr Gesetz mitgebracht und die Männer sind den beiden Regierungen gefolgt, der<br />

englischen und der französischen.“<br />

(Chief Warisul. Bunlap, November 2004)<br />

Zum ersten Chief in Bunlap wird, darin sind sich die mündlichen Überlieferungen<br />

einig, ein Mann mit Namen Meleun Temat (Jolly 1994b:49). Meleun Temat<br />

ist der Vater von Bong Bumangari Kaon und Telkon Watas, die uns gleich noch<br />

begegnen werden. Er bleibt Chief bis zu seinem Tod in den 50er Jahren. Da Meleun<br />

Temat selbst kein Bislama spricht, stellt man ihm einen etwas jüngeren<br />

Mann mit Namen Molsuta zur Seite, der Vater des späteren Chief Warisul, der<br />

ja gerade mit einem längeren Zitat zu Wort gekommen ist. 44 Jolly meint, daß das<br />

Amt des Chiefs in den kastom Dörfern bereits wenige Zeit später zumindest vorläufig<br />

in Mißkredit geraten sei und führt als Beleg eine Geschichte an, die bei<br />

43 In den vierziger Jahren war die Missionierung des Gebietes noch nicht abgeschlossen bzw.<br />

lag teilweise erst einige Jahre zurück. Es war daher durchaus nicht unüblich, daß ältere Männer<br />

vor der Missionierung auch traditionelle Titel erworben hatten, also in beiden Systemen<br />

enkulturiert waren.<br />

44 Im Zuge der Missionierung begann auch die Verbreitung des Bislama, denn einen Bibelübersetzung<br />

in Sa lag nicht vor und die Missionare selbst sprachen zunächst kein Sa. Bislama<br />

setzte sich im kastom Gebiet dennoch verhältnismäßig spät durch, etwa ab 1950.<br />

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