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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Gol und Mythos – Versuch einer Mythenanalyse<br />

Alter, Wahrheit und Heiligkeit. In ihnen soll durch etwas Konkretes und Einleuchtendes<br />

eine abstrakte Idee, oder aber vage und schwierige Begriffe gedeutet<br />

werden, wie Schöpfung, Tod, die Unterscheidung von Rassen und Tierarten,<br />

die Herkunft der verschiedenen Tätigkeiten und Lebensbereiche von Männern<br />

und Frauen, auffallende Naturformen, prähistorische Denkmäler oder Personenund<br />

Ortsnamen (Malinowski 1976). Mircea Eliade vertritt einen ganz ähnlichen<br />

Mythosbegriff, der sich nach wie vor in vielen ethnologischen Hand- und Lehrbüchern<br />

findet (vgl. <strong>Lipp</strong> 2000). 232 Ihm zufolge sind Mythen „Einbrüche des<br />

Heiligen in die Welt“, sogenannte Hierophanien. In ihnen wiederholt sich die<br />

„Weltgründung“, sie sind „kosmogonische Ursprungserzählungen“, die in illo<br />

tempore spielen, in der uranfänglichen Zeit. Insofern haben sie an der „eigentlichen“<br />

Zeit keinen Anteil, sondern sind vielmehr ein „Modell für die Ewigkeit“.<br />

Anders gesagt: der Mythos erzählt, auf welche Weise dank der Taten der übernatürlichen<br />

Wesen – dies können Götter, Heroen oder mythische Ahnen sein –<br />

eine Realität zur Existenz gelangt ist. Sei es nun die totale Realität, der Kosmos<br />

oder nur ein Teil davon: eine Insel, eine Pflanzenart, ein menschliches Verhalten,<br />

eine Institution. Es handelt sich also immer um die Erzählung einer „Schöpfung“:<br />

es wird berichtet, wie etwas erzeugt worden ist und begonnen hat, zu<br />

sein. Der Mythos spricht nur von dem, was wirklich geschehen ist, von dem,<br />

was sich voll und ganz manifestiert hat. Mythen sind insofern im Bewußtsein<br />

der Menschen immer „wahre Geschichten“, in denen sich quasi die „Summe der<br />

Uroffenbarungen“ spiegelt (vgl. Eliade 1988:15ff). Mythen werden in der Regel<br />

als ätiologische Geschichten bezeichnet. Dabei erklären Mythen nicht, sondern<br />

sie halten einen Präzedenzfall fest. Das Bedürfnis nach Erklärung, so meinte<br />

Malinowski, existiert nämlich gar nicht (Malinowski 1976). Hier würde sich<br />

wohl auch André Jolles anschließen, wenn er sagt, daß die mythische Antwort<br />

zum Erlöschen der Frage führe (Jolles 1976). Insofern steht, was wohl alle Mythenforscher<br />

unterstreichen würden, der Mythos im unüberwindbaren Gegensatz<br />

zur Erkenntnis. Diese ist gegenständlich gerichtet, sie sucht „logische“ Einsicht<br />

in den Zusammenhang der Dinge, sie will eine Bestimmung des Seins und des<br />

So-Seins der Objekte und ihrer Beziehungen zueinander. Erkenntnis faßt sich in<br />

Urteilen, die Allgemeingültigkeit besitzen sollen. So besteht die eigentliche Leistung<br />

der Erkenntnis darin, daß sie ihren Gegenstand aus seinen Bedingungen<br />

heraus erst erzeugt. Während die Erkenntnis Allgemeingültigkeit beansprucht,<br />

beschwört der Mythos „Bündigkeit“ oder „Ganzheit“. Beide Weltdeutungsmodelle<br />

existieren stets nebeneinander. Erkenntnis löst den Mythos keineswegs als<br />

Resultat eines notwendigen bzw. evolutiven Prozesses ab, genausowenig wie die<br />

Religion die Magie ablöst (vgl. Evans-Pritchard 1978). Zwischen Mythos und<br />

Logos herrscht ewige Konkurrenz, wobei dem Mythos, wie Kurt Hübner über-<br />

232 Die ist eigentlich erstaunlich, weil die wesentlich weiterführende Theorie, die Eliade nicht<br />

zuletzt auf der Grundlage seines Mythosbegriffes entwickelt hat, in der Ethnologie heute<br />

weitgehend diskreditiert ist, da man sie, nicht ganz zu unrecht, eher für eine Ideologie denn<br />

für eine Theorie hält.<br />

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