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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Körper und Kleidung: bi pis und rahis als Fanal für kastom<br />

Es ist also, das können wir als vorläufiges Fazit festhalten, nicht zuletzt das<br />

ständige Tragen von bi pis und rahis, das einen entscheidenden Unterschied<br />

zwischen kastom und skul macht. Chief Warisul, der wohl bedeutendste Philosoph<br />

und Visionär von Bunlap, beschreibt die Bedeutung der traditionellen<br />

Kleidung, die Adaptionszwänge, mit denen sich vor allem die jungen Leute auseinandersetzen<br />

müssen und einige Elemente seiner persönliche Utopie, die eng<br />

mit Fragen der Kleiderordnung zusammenhängt, mit den folgenden Worten:<br />

Auszug aus einem Gespräch mit Chief Warisul über Nacktheit und Scham:<br />

„Als Gott uns geschaffen hat, waren wir nackt. Lange, lange Zeit ist das her. Nach einiger<br />

Zeit, als wir dann etwas mehr wussten, wurde uns klar, daß Nacktheit nicht in Ordnung ist.<br />

Das führte dann dazu, daß auf der Seite von kastom Barkulkul den Frauen den Grasrock gegeben<br />

hat und dem Mann ein Blatt. So lange waren wir also nackt, bis dann Gott uns etwas<br />

gegeben hat, mit dem wir uns ein klein wenig bekleiden. Aber wir dürfen nicht den ganzen<br />

Körper verhüllen. Das wäre viel zuviel Arbeit, weil man dazu ja sehr viele Blätter bräuchte.<br />

Wir müssen daher nur ein wenig arbeiten, um uns anzukleiden. Die Frauen die eine Hälfte,<br />

die Männer die andere Hälfte. So ist es dann ganz einfach für uns alle. Heute wissen wir, daß<br />

das gerade richtig ist. Das ist kastom: wir müssen nichts bezahlen, für Seife oder für Faden<br />

um unsere Kleidung zu reparieren. Wenn wir beim kastom bleiben, dann sehen wir, daß es gut<br />

ist. Barkulkul sagte uns: wenn ihr kastom befolgt, dann müßt ihr es so machen. Das ist kastom.<br />

Er hat uns kastom gegeben. Uns allen. Uns allen in Pentecost. Aber auch uns allen in<br />

der Welt. Auch Euch Weißen! Der kastom gehört der ganzen Welt – aber nur wir hier, wir in<br />

Bunlap, wir folgen ihm heute noch! Ich versuche, kastom aufrechtzuerhalten. Aber jetzt, in<br />

diesem Jahr – ich habe es satt. Ich sehe, dass es nichts bringt. Chief Telkon – unser „großer“<br />

Chief, auch er hat vieles nicht ernst genommen und die Leute nicht angehalten. Heute tragen<br />

viele junge Leute Hosen und T-Shirts. Aber ich habe es ihnen jetzt verboten. Während der<br />

Zeit der Zeremonien und Tänze, bilbilan, taltabwean – ich verbiete es. Wenn die jungen Leute<br />

Rock oder Hose während der Zeit der Zeremonien tragen, müssen sie Strafe zahlen. Jetzt respektieren<br />

sie es. Sie wissen: wenn wir jetzt zu einer Zeremonie gehen dann müssen die Hosen<br />

weg, wir müssen uns ganz und gar nach kastom richten. Neulich gab es ein großes Fest –<br />

Du warst nicht da, das war ein sehr gutes Fest, das hättest Du filmen sollen. Niemand hatte<br />

Hosen an. Genauso wie beim letzten gol. Da gab es auch keine Stoffe (kaliko). Wenn ein Junge<br />

starrköpfig ist, dann muß er Strafe zahlen. Mit einer Matte. Oder, wenn er keine Matte hat,<br />

muß er eben 500 Vatu bezahlen 53 . Jetzt, gestern und vorgestern auch, habe ich meinen Töchtern<br />

und meiner Frau gepredigt, daß sie keinen Stoffe an ihrem Körper haben sollen. Als Gott<br />

uns geschaffen hatte, waren wir selbst wie Gott. Wir waren nackt. Wir sind selbst Gott. Du<br />

und ich. Wir hier in Bunlap hören auf keinen Mann der sagt, er kenne den Weg zu Gott. Nein.<br />

Wir selbst und sonst nichts, wir sind Gott. Wir suchen keinen anderen Gott mehr. Als Gott<br />

dich geschaffen hat, so wie du eben bist, so habe ich meiner Frau gesagt, da wurdest Du selbst<br />

zum Gott. Deswegen predige ich meinen Mädchen und meiner Frau wenn ich mit ihnen zu<br />

einem Tanz gehe, daß sie kein Stück Stoff tragen sollen. Nichts! Alle anderen haben vielleicht<br />

ein kleines Stück Stoff an, irgendwo, aber wir zwei, meine Frau und ich, wir machen das<br />

nicht. Wir sagen: nein – wir zwei sind Gott (yumitu god finis 54 ). Wir tragen keinen Stoff während<br />

irgendeiner Zeremonie. Bilbilan, Taltabwean oder irgendeine Zeremonie. Wir zwei ma-<br />

53 Der Wechselkurs am 27. März 2002 war 1€ = 140 VT<br />

54 Chief Warisul gebraucht in diesem Kontext den Bislama Begriff „god“. Es scheint evident,<br />

daß hier die Vorstellung eines mächtigen christlichen Schöpfergottes eine Symbiose mit der<br />

Figur des Barkulkul eingegangen ist, der traditionell eher einen „primus inter pares“ Kulturheros<br />

darstellt.<br />

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