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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Gol als Ritual? Versuche zur Ritualtheorie<br />

Folie bilden, auf der wir das gol in ästhetisch-performativer Hinsicht betrachten<br />

müssen (vgl. Kap. 12.1). Gerade auch in Bezug auf die Vielschichtigkeit seiner<br />

performativen Dimensionen ist ein Vergleich zwischen gol und warsangul aufschlußreich.<br />

Das Turmspringen läuft zwar nach bestimmten Regeln ab, diese<br />

haben allerdings eher informellen Charakter und erinnern vielmehr an fiktive<br />

Spielregeln (vgl. Kap 17.4). Wir haben z.B. gesehen, daß die Veranstaltung ohne<br />

besondere Einleitung und zu einem Zeitpunkt beginnen kann, an dem möglicherweise<br />

noch nicht einmal alle Teilnehmer erschienen sind. Genausowenig ist<br />

der Ablauf der einzelnen Lieder und Tänze klar festgelegt. Selbst die Reihenfolge<br />

der Sprünge ergibt sich viel eher aus den technischen Gegebenheiten, als daß<br />

sie einer bestimmten Systematik folgen würde (vgl. Kap. 13.6). Dies alles steht<br />

in Gegensatz zu den warsangul Ritualen, deren Ablauf und Choreographie um<br />

ein Vielfaches genauer beschrieben sind und eingehalten werden (vgl. Kap.<br />

12.1). Betrachtet man zusammenfassend funktionale und ästhetischperformative<br />

Aspekte von warsangul und gol im Vergleich so wird wiederum<br />

deutlich, daß das Turmspringen auch in dieser Hinsicht eher Elemente eines<br />

Spieles aufweist.<br />

Mit den nun folgenden Tafeln will ich die gerade gemachten Aussagen anhand<br />

der ethnographischen Daten konkret erhärten. Ich konnte hier aus Platzgründen<br />

nur eine kleine Auswahl an typischen Befunden integrieren. Dennoch läßt sich<br />

anhand der teils sehr unterschiedlich verlaufenden „Titelgeschichten“ die Bandbreite<br />

an möglichen Konstellationen von Alter, Nachkommenschaft, Anzahl der<br />

Titel und der dafür bezahlten Schweine sowie der Anzahl von Turmsprüngen<br />

usw. erkennen. Die Tafeln sind so konzipiert, daß der Leser schon beim bloßen<br />

Überfliegen seine Schlußfolgerungen ziehen, bei weitergehendem Interesse das<br />

Material aber auch näher analysieren kann. Die Reihenfolge der Nennung bemißt<br />

sich hier nach der Anzahl der warsangul Titel, zuerst wird genannt, wer die<br />

größte Anzahl an warsangul Titeln trägt usw. Es gilt, hier mehrere Dinge zu berücksichtigen:<br />

Einmal fällt auf, daß bedeutendere Männer ihre Titel meist von<br />

vielen verschiedenen Mentoren gekauft haben und keinesfalls ausschließlich<br />

von z.B. ihren nächsten Verwandten, wie es hingegen häufig bei schwächeren<br />

Initianden zu beobachten ist. Vor allem die Zahl der getöteten Tiere gibt Aufschluß<br />

über den tatsächlichen Wert eines Titels, da ein Teil der lebend übergebenen<br />

Tiere nicht selten, allerdings auch keineswegs immer, an den Mentor zurückgegeben<br />

wird. Schließlich wird sehr eindrücklich deutlich, daß hochrangige<br />

Männer durchaus nicht sehr häufig gesprungen sein müssen – allerdings ist eine<br />

große Anzahl an Titeln nicht gleichzeitig mit politischer Macht gleichzusetzen,<br />

das dürfen wir bei unserer Betrachtung keinesfalls vergessen.<br />

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