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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Gol und Mythos – Versuch einer Mythenanalyse<br />

der Isolierung von Strukturen der dem Mythos inhärenten Logik eher zurücktreten,<br />

bin ich hier eher am „Ethos“ interessiert, das in der Analyse (möglicherweise)<br />

ersichtlich wird. Dies liegt u.a. daran, daß wir uns hier, anders als von Lévi-<br />

Strauss gefordert, nur mit den Mythen der Sa beschäftigen und diese nicht in<br />

einem größeren, überregionalen Zusammenhang mit den Mythen benachbarter<br />

Ethnien betrachten. Erstens lagen hierzu keine Daten vor und zweitens hätte ein<br />

solcher Versuch das Anliegen dieser Arbeit bei weitem gesprengt. Auch tritt in<br />

meiner Betrachtung das handelnde Subjekt nicht gänzlich in den Hintergrund.<br />

Ich vermute dennoch, und erweitere bzw. verenge damit Lévi-Strauss’ Ansatz,<br />

daß es sinnvoll sein könnte, die Mythen einer Gesellschaft nicht nur in Hinblick<br />

auf universale Strukturen, sondern auch als Reflex einer in einem bestimmten<br />

Raum-Zeit Gefüge stehenden Sozialstruktur zu betrachten. Ich halte es also für<br />

möglich, daß sich im Mythenschatz einer Kultur neben universellen Formen –<br />

etwa der Bewußtmachung bestimmter Gegensätze und der Hinführung zu deren<br />

allmählicher Ausgleichung (vgl. Lévi-Strauss 1977:247) - sehr wohl auch deren<br />

spezifisches „Ethos“ widerspiegelt (vgl. dagegen Lévi-Strauss 1977:227). In jedem<br />

Fall ist das Unterfangen wohl einen Versuch wert, zumindest dann, wenn<br />

man das Ergebnis kritisch mit dem Ertrag aus Symbol- und Ritualanalyse in Beziehung<br />

setzt. Ich stimme Lévi-Strauss grundsätzlich zu, wenn er den Mythos<br />

für einen universellen Code hält, der dechiffriert werden muß. Universell deswegen,<br />

weil Mythen mit ähnlichen Inhalten und oft sogar erstaunlich vergleichbaren<br />

Einzelheiten in den verschiedensten Regionen der Welt auftauchen. Dechiffrieren<br />

muß man den Mythos, da an der Zusammensetzung der einzelnen<br />

Mytheme und an den spezifischen Eigenschaften der mythischen Sprache spezifische<br />

Eigenschaften festgestellt werden können, die über dem üblichen Niveau<br />

des sprachlichen Ausdrucks liegen, weil sie komplexer sind als dieses (Lévi-<br />

Strauss 1977:228ff). Dies kann dann gelingen, wenn man in den zahllosen Varianten<br />

des Mythos gewisse, stets wiederkehrende Grundmuster entdeckt, die jedoch,<br />

anders als ein Mythos in seiner Ganzheit, „logischer“ Natur sind. Wie stehen<br />

dann aber diese Mytheme, als logische Elemente, mit dem ganzen Mythos<br />

in Verbindung, der sich einer „logischen“ Betrachtung ja entzieht? Im Mythos<br />

werden, wie wir bereits gehört haben, Bilder entworfen, die den Begriff ersetzen.<br />

Nicht selten stehen diese Bilder in Opposition zueinander, wodurch sie vor<br />

allem eines leisten: sie werden dem dialektischen Charakter der uns umgebenden<br />

Welt gerecht, denn die Erfahrung des „in der Welt seins“ wird im Mythos<br />

(auch im Ritual, dort aber auf andere Weise, s.u.) als „coincidentia oppositorum“<br />

dargestellt. 239 Die im Mythos erzählte Geschichte als solche bezeichne ich<br />

hier als die „oberste Ebene“ des mythischen Textes. Lévi-Strauss hat nun vorgeschlagen,<br />

dem Problem der Mehrschichtigkeit des Mythos beizukommen, indem<br />

239 Ich beziehe mich hier auf Nicolaus Cusanus (1401-1464), der den Begriff der „coincidentia<br />

oppositorum“ prägte, um das Zusammenfallen der Gegensätze in der Gottheit zum Ausdruck<br />

zu bringen. Mythen-, Symbol- und Ritualforscher haben den Begriff später immer wieder<br />

aufgegriffen, wie wir später noch genauer sehen werden.<br />

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