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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Gol als Ritual? Versuche zur Ritualtheorie<br />

es sich dabei um eine ziemlich schwierige „Prüfung“ handelt. Dem Erklimmen<br />

des Turmes folgt eine gefährliche „Schwellenphase“ zwischen Himmel und Erde<br />

und schließlich die „Landung“, die den Vorgang beendet. Sieht man jedoch<br />

genauer hin und nähert sich den Begriffen „Initiation“ und „Ritual“ anhand der<br />

oben vorgestellten Terminologie, so wird<br />

gleich mehrfach deutlich, daß der ethnographische<br />

Befund es nicht rechtfertigt, das gol für<br />

eine Initiation zu halten: Die Teilnahme am gol<br />

ist gänzlich freiwillig. Die gesellschaftlichen<br />

Autoritäten (vgl. Turner 1989), hier also Väter,<br />

Onkel, sonstige ältere Verwandte und Freunde<br />

oder gar die Chiefs, üben auf die Jungen keinerlei<br />

formellen Zwang aus, am gol teilzunehmen.<br />

Allenfalls machen sie manchmal einen<br />

indirekten Einfluß informell geltend. Es ist die<br />

feste Überzeugung der Sa Jungen und Männer,<br />

daß es von jedem selbst abhängt, ob er am<br />

Turmspringen teilnimmt oder nicht. „I stap<br />

long evri man from man hemi master long life<br />

blong hem” so sagen sie: „es hängt von jedem<br />

Mann selbst ab, denn der Mann ist der Herr<br />

seines Lebens“. Schon zehnjährige Jungen unterstreichen<br />

damit sehr überzeugend und eindrucksvoll<br />

ihre Autonomie in dieser und anderen<br />

Fragen. Es kommt, wie wir bereits gesehen<br />

haben, durchaus vor, daß ein Junge oder Mann<br />

nicht springen will. Sei es, daß er Angst hat,<br />

sich krank fühlt oder, was auch geschieht, aus<br />

Rücksicht auf einen Freund verzichtet, weil<br />

mehr Anwärter als Sprungplätze vorhanden<br />

sind. Er sagt dann, daß er nicht springen will,<br />

und es erübrigt sich jede weitere Diskussion.<br />

Zwar mag es geschehen, dass seine gleichaltrigen<br />

Freunde ihn ein paarmal im Scherz aufziehen,<br />

oder noch während des Turmspringens ein<br />

Abb. 48: Ein Junge spielt gol<br />

mit einem angebundenen Holzstück.<br />

(Bunlap-Bena, Mai 2002)<br />

spöttisches Lied gesungen wird (vgl. Kap.<br />

13.7), aber ein Verlust an formalem Ansehen,<br />

etwa die Aberkennung eines Titels oder dergleichen,<br />

ist damit nicht verbunden. Auch eine<br />

Schmälerung an informellem Ansehen ist nicht feststellbar. Manche Männer<br />

sind in ihrem Leben überhaupt noch niemals gesprungen, nehmen aber eine gefestigte<br />

Rolle innerhalb des Dorfes ein, wie wir gleich noch genauer sehen werden.<br />

Ferner ist beim gol meines Erachtens keine, oder höchstens eine sehr<br />

schwach ausgeprägte „communitas“ zu beobachten, was mit der Flexibilität der<br />

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