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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Interpretationsversuche des Nicht-Mitteilbaren<br />

15. Interpretationsversuche des Nicht-Mitteilbaren<br />

Kunst bedeutet Weglassen.<br />

Leonhard Frank (1882-1961)<br />

Es sollte bereits deutlich geworden sein, daß ich das gol für ein vielschichtiges<br />

Phänomen halte, das sich nicht monokausal erklären läßt. Wir werden in diesem<br />

Teil der Arbeit nun genauer sehen, daß das Turmspringen auf unterschiedlichen,<br />

sich teils überlagernden Ebenen, Bedeutungen und Funktionen entfaltet, die man<br />

wie einen Palimpsestes Text entschlüsseln kann bzw. muß, will man deutend<br />

verstehen (vgl. Bargatzky 2006: 256ff). Ich gehe grundsätzlich davon aus, daß<br />

Kultur auch als das kumulative Ergebnis eines historischen Diffusionsprozesses<br />

betrachtet werden muß und greife damit das eingangs dieser Arbeit angeführte<br />

Wort von Hans von Keler wieder auf, demzufolge man Geschichte nicht nur als<br />

Geschehenes, sondern vor allem auch als Geschichtetes begreifen soll. Wenn<br />

also beispielsweise viele Sa das Turmspringen heute vielfach vor allem als ökonomische<br />

Ressource betrachten, hat das mit den geänderten historischen Rahmenbedingungen<br />

zu tun, die man zur Kenntnis nehmen und beschreiben muß,<br />

wenn man verstehen will, welche konkreten Auswirkungen sie auf das Handeln<br />

der Akteure haben. 227 Mit Clifford Geertz meine ich, daß eine vorrangige Aufgabe<br />

des Ethnologen darin besteht, dieses geschichtete „lokale Wissen“ so<br />

„dicht“ als möglich zu beschreiben und deutend zu verstehen. Georg Foster<br />

schließlich pflichte ich bei, wenn er meint, daß alle Mitglieder einer Gesellschaft<br />

eine allen gemeinsame geistige Grundhaltung teilen, die sie mit bestimmten,<br />

sehr ähnlichen Annahmen darüber ausstattet, wie die „Regeln des Spiels“ denn<br />

nun beschaffen seien.<br />

„The members of every society share a common cognitive orientation which is, in effect, an<br />

unverbalized, implicit expression of their understanding of the ‚rules of the game’ of living<br />

imposed upon them by their social, natural and supernatural universes.“ (Foster 1965:293)<br />

227 Allerdings schließe ich mit diesem Bekenntnis zur zweifellos vorhandenen Bedeutung<br />

der Diffusion keineswegs aus, daß alle Kulturen ohne Ausnahme zu eigenen schöpferischen<br />

Leistungen in der Lage sind. Eine solche schöpferische Leistung, die uns als Organisation von<br />

Wirklichkeit konkret z.B. in Mythen, Symbolen, kultischen Handlungen, Ordnungsvorstellungen<br />

etc. entgegentritt, halte ich für die je spezifische Antwort auf eine existentielle Frage,<br />

die in einer bestimmten Raum-Zeit-Konstellation aufkommt und unmittelbar nur auf dieser<br />

Grundlage verstanden werden kann. Ich schließe mich daher grundsätzlich Durkheim an, der<br />

meint, daß religiöses Bewußtsein kollektives Bewußtsein ist, das für eine spezifische soziale<br />

Realität steht (Durkheim:1912.) Ob sich das, was ich hier „schöpferische Leistung“ genannt<br />

habe, und was durch eine spezifische soziale Realität gekennzeichnet scheint, im „Kern“ letztlich<br />

doch als ein Wiedererkennen von „Urbildern“ (vgl. Platon 1974; Jung 1984; Eliade 1990;<br />

1994 etc.) beschreiben läßt (woher auch immer dies stammen mögen), vermag ich weder zu<br />

bestätigen, noch zu verneinen, halte das Problem m.a.W. nach wie vor für ungelöst.<br />

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