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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Die zweite Geschichte des gol: Revitalisierung durch Tourismus<br />

der Aufforderung der kastom Chiefs folgen und, was letztlich wohl den triftigeren<br />

Grund darstellt, dem Lockruf der potentiellen Einnahmen aus dem Geschäft<br />

mit den gol-Touristen nachgeben. Die Soziologin Ngaire Douglas hat überzeugend<br />

dargelegt, daß sich der Topos des „letzten nackten Wilden“ im Melanesien<br />

Tourismus schon seit über hundert Jahren hartnäckig etabliert hat (Douglas<br />

1996). Der Ende der 1970er Jahre beginnende, systematisch organisierte gol-<br />

Tourismus in Vanuatu, bildet hier keine Ausnahme. Die zahlenden Besucher<br />

erwarten vom gol das „Abenteuer ihres Lebens“ 198 und wollen auf der abgelegenen<br />

Insel Pentecost unbekleidete, „ursprüngliche“ Menschen sehen. Spätestens<br />

seitdem einige gol-Touristen moniert haben, daß die „letzten Wilden“ in zerrissenen<br />

Shorts auftreten, respektieren auch die skul Leute den Wunsch ihrer zahlenden<br />

Kundschaft nach „archaischer Wildheit“ und legen, nach einer Unterbrechung<br />

von mehr als fünfzig Jahren, für die Dauer des gol – und nur dafür – die<br />

traditionelle Tracht wieder an. Wenn man bedenkt, daß sie nur wenige Jahre zuvor<br />

ihre kastom Brüder noch mit Waffengewalt am Tragen des bi pis hindern<br />

wollten, eine durchaus erstaunliche Entwicklung. Heute bestehen weitgehend<br />

friedliche, wenn auch, aufgrund der in Kap. 9.3 geschilderten Landrechtsfragen,<br />

nicht immer freundschaftliche Beziehungen zwischen kastom und skul Gemeinschaften<br />

und es werden auch in den protestantischen Dörfern wieder Turmspringen<br />

veranstaltet, allerdings unter gänzlich neuen Vorzeichen, so daß die Veranstaltung<br />

zweifelsohne auch neue Bedeutungen für die Akteure erlangt hat. Unter<br />

anderem bildet sich, neben den bislang geschilderten Organisatoren und Baumeistern<br />

ein neuer Typus des gol Akteurs heraus, der „Veranstalter“, der das<br />

Bindeglied zwischen den kommerziellen Reiseagenturen in Port Vila und den<br />

lokalen Organisatoren darstellt. Der Veranstalter verfügt, wie wir später noch<br />

sehen werden, über eine ausgezeichnete Machtposition, denn seine Kontakte<br />

sind es, die den Zustrom der Touristen generieren.<br />

Wenn wir hier die zweite Geschichte des gol betrachten wird deutlich, daß keineswegs<br />

nur die Männer von Bunlap die Tradition bewahrt haben, auch wenn<br />

sie gerne so tun, als sei dies ausschließlich ihr Verdienst. Tatsächlich gibt es drei<br />

Zentren, in denen sich das Turmspringen über die Zeiten hinweg halten konnte<br />

und von wo es sich, nach einer Phase des Rückzuges bzw. der Stagnation, seit<br />

einiger Zeit auch wieder ausbreitete. Dies sind Farsari (Santari) im Nordosten,<br />

Bunlap im Südosten und Point Cross im Süden des Sa Gebietes. Wenn ich im<br />

Folgenden die erneute Verbreitung des Turmspringens in Südpentecost schildere,<br />

ordne ich diese nicht anhand der geographischen Lage einzelner Dörfer, sondern<br />

versuche zu zeigen, wie die Veranstaltung zwischen den Jahren 1955 und<br />

etwa 1990 durch das konkrete Handeln einiger Akteure, deren Einfluß auf das<br />

Geschehen besonders groß war und teilweise immer noch ist, wieder an Bedeu-<br />

198 Das gol wird im Buch „100 Things to Do Before You Die” neben dem Münchner Oktoberfest,<br />

der Verleihung der Academy Awards, der Ralley Paris – Dakar, dem Karneval in Venedig<br />

usw. als eine dieser 100 Welt-Attraktionen angepriesen (Freeman / Teplica 1999).<br />

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