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VORWORT DES HERAUSGEBERS - Thorolf Lipp

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Gol und Mythos – Versuch einer Mythenanalyse<br />

und springen selber, während die Frauen unter dem Turm tanzen müssen“ (vgl.<br />

Jolly 1994a). Eine andere Frage, die zu Beginn dieser Arbeit gestellt wurde,<br />

lautete, ob sich im Verlaufe der Revitalisierung des Turmspringens andere Mythen<br />

bildeten, die u.U. mit dem ursprünglichen Mythos nichts mehr zu tun haben,<br />

was dann konkreten Anlaß gäbe, die immer wieder postulierte „unverbrüchliche<br />

Einheit zwischen Mythos und Ritual“ kritisch zu betrachten. Das Problem<br />

kann, zunmindest für den Moment, dahingehend beantwortet werden, daß mir,<br />

trotz hartnäckigen Nachfragens, außer den oben genannten Varianten, niemals<br />

irgendwelche anderen Mythen bekannt geworden sind. 237<br />

16.3 Das Analysewerkzeug: strukturalistische Mythosdeutung<br />

Die soeben vorgetragenen Mythen sollen nun einer Analyse unterzogen werden.<br />

Um einen Einblick in die Bandbreite der entsprechenden Ansätze zu ermöglichen,<br />

will ich hier kurz die von Kurt Hübner vorgeschlagene Kategorisierung<br />

verschiedener Mythosdeutungen vorstellen, demzufolge man neun maßgebliche<br />

Deutungsversuche isolieren kann: 1. allegorische oder euhemeristische Deutung;<br />

2. Deutung als Krankheit der Sprache; 3. Deutung als Poesie und schöner<br />

Schein; 4. ritualistisch-soziologische Deutung; 238 5. psychologische Deutung; 6.<br />

transzendentale Deutung; 7. strukturalistische Deutung; 8. symbolistische und<br />

romantische Deutung; 9. Deutung als Erfahrung des Numinosen (vgl. Hübner<br />

1985:48ff). Es soll anhand dieser Auflistung vor allem deutlich werden, daß<br />

man Mythen aus so vielen unterschiedlichen Blickwinkeln begegnen kann, daß<br />

es notwendig scheint, sich für ein Analysewerkzeug zu entscheiden, das man<br />

möglichst klar definiert und dessen Stärken und Schwächen man billigend in<br />

Kauf nimmt. Bislang habe ich versucht, den Blick des Lesers auf das ethnographische<br />

Material nicht (allzusehr) zu verstellen. Wenn ich hier nun zunächst eine<br />

strukturalistische Analyse des Mythenmaterials versuche, die ich dann später mit<br />

den noch zu beschreibenden Symbolen und dem ethnographischen Befund allgemein<br />

in Beziehung setzen werde, so füge ich unmißverständlich hinzu, daß<br />

dies eben nur eine Möglichkeit darstellt, mit dem Material zu arbeiten.<br />

Der Mythos gleicht, meint Lévi-Strauss, einem komplexen, mehrdimensionalen<br />

System das eine eigene Art der Rationalität entfaltet, die man mit Hilfe einer<br />

strukturalistischen Analyse erkennen kann. Während Lévi-Strauss vor allem<br />

nach den formalen Strukturen sucht, mit denen der Mythos die Wirklichkeit zu<br />

durchdringen versucht, und die konstitutiven Inhalte dabei hinter den Versuch<br />

237 Sollte sich jedoch die Kommerzialisierung des gol weiter fortsetzen wie bisher, und sich<br />

der Charakter der Veranstaltung weiter entsprechend verändern, würde es mich nicht wundern,<br />

wenn im Laufe der Zeit Mythen auftauchten, die ein dann möglicherweise sogar ein<br />

vollkommen anderes Bild entwerfen, als das, welches ich hier zu beschreiben und zu analysieren<br />

versuche.<br />

238 Aus der Perspektive des Ethnologen ist zu bemängeln, daß Hübner den Ansatz einer Symbolischen<br />

Anthropologie auf der Grundlage lokalen Wissens nur unzureichend behandelt.<br />

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