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Die Familie Ammer. Deutscher Sittenroman von Ernst Willkomm.

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Fluth Gesicht, Hals und Brust, hatte während dieses<br />

Geschäftes gar eigene Gedanken und Wünsche. Dann<br />

ging sie, geschmückt wie eine Brautjungfer, mit Vater<br />

und Mutter zur Kirche, während den daheim bleibenden<br />

Brüdern die Beaufsichtigung des Hauses <strong>von</strong> Herrn<br />

<strong>Ammer</strong> ernstlich empfohlen ward.<br />

<strong>Die</strong> Kirche war, wie stets am Charfreitage, überfüllt<br />

mit Menschen, weil für die Dorfbewohner der Gottesdienst<br />

einen ganz eigenthümlichen Reiz erhält durch<br />

Absingung der sogenannten »Passion«. Man versteht<br />

darunter eine auf Noten gesetzte Erzählung der Leidensgeschichte<br />

Christi, bearbeitet nach einem der vier<br />

Evangelien. Gewöhnlich hat das Evangelium St. Johannes<br />

den Text dazu geliefert und zwar wörtlich nach<br />

der lutherischen Bibelübersetzung. Der Vortrag dieser<br />

Passion, ein monotones Recitativ, <strong>von</strong> ungeschulten<br />

und gänzlich unmusikalischen Menschen ausgeführt,<br />

ist in der Regel ohrenzerreißend. Das genirt jedoch den<br />

gläubigen Landmann nicht, der es nur mit der Sache<br />

hält und daher den ästhetischen Punkt ganz übersieht.<br />

<strong>Ammer</strong> und seine <strong>Familie</strong> theilten in dieser Beziehung<br />

vollkommen den Geschmack aller Uebrigen und hatten<br />

deßhalb an der traurig wüsten Musik nicht das Geringste<br />

auszusetzen.<br />

Im Hause des Webers ward der Charfreitag als Todestag<br />

des Welterlösers sehr stille zugebracht. <strong>Ammer</strong><br />

duldete an diesem hochheiligen Tage kein Scherzwort,<br />

nicht einmal bei Tische, wo er es doch gern sah, wenn<br />

die Seinigen recht heiter waren. Wer nicht etwas <strong>Ernst</strong>haftes<br />

zu sprechen wußte, der durfte gar nicht reden.

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