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Die Familie Ammer. Deutscher Sittenroman von Ernst Willkomm.

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würde, wäre die Lectüre ganz unterblieben. Flora und<br />

ihre Brüder waren aber zu lebhaft, zu übermüthig und<br />

zu jung, um an den ernsten Versen des gottbegeisterten<br />

Sängers, die im Munde ihres Vaters auch nicht gerade<br />

an Wohlklang gewannen, Gefallen finden zu können.<br />

Flora fing daher regelmäßig während der Lectüre<br />

an zu gähnen, erst verstohlen, dann laut, und wenn<br />

sie ihre Langeweile durch so unzweideutige Zeichen<br />

kundgegeben hatte, begann sie mit den Augen zu blinzeln,<br />

mühte sich vergebens eine halbe Stunde ab, die<br />

schweren Lider offen zu halten, bis zuletzt Müdigkeit<br />

und Langeweile sie gänzlich überwältigten und das gute<br />

Kind neben der lächelnd zuhörenden Mutter sanft<br />

einschlief. Den Brüdern erging es nicht besser, doch<br />

verhielten sie sich ruhig, bis des Vaters monotone Stimme<br />

sie ebenfalls glücklich in festen Schlaf einlullte.<br />

<strong>Ammer</strong>, nur mit dem Buche beschäftigt und überdies<br />

ein großer Verehrer des Dichters, der ihm höher stand<br />

als David, der Psalmist, merkte nichts <strong>von</strong> der Schlafsucht<br />

seiner Kinder. Er las, ohne aufzublicken oder einzuhalten,<br />

bis die schwarzwälder Uhr auf Neun aushob.<br />

Bei diesem Schnarren des Räderwerkes machte er mit<br />

dem Daumennagel ein Zeichen in’s Buch, legte seine<br />

Hornbrille zwischen die Blätter und schlug es zu.<br />

Jetzt erst sah er sich um nach seinen Zuhörern.<br />

Da saß Frau Anna aufrecht wie eine Statue, die Arme<br />

über die Brust gekreuzt, mit dem Rücken gegen<br />

die Holzwand gelehnt. Sie sah mit ihren gutmüthigen<br />

blauen Augen gerade vor sich hin und rührte keine Fiber.<br />

Neben ihr, das lockige Köpfchen an die Schulter<br />

der Mutter lehnend, schlummerte Flora den glücklichen<br />

Schlaf der Jugend und Unschuld. Weiter unten

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