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Das Werk des Dichters Jiang Kui - AsiaRes

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Meister Ji vom Südweiler saß, den Kopf in den Händen, über seinen Tisch gebeugt da. Er<br />

blickte zum Himmel auf und atmete abwesend, als hätte er die Welt um sich verloren.<br />

Ein Schüler von ihm, der dienend vor ihm stand, sprach: Was geht hier vor? Kann man<br />

wirklich den Leib erstarren machen wie dürres Holz und alle Gedanken auslöschen wie tote<br />

Asche?...<br />

Meister Ji sprach: Es ist ganz gut, daß du darüber fragst. Heute habe ich mein Ich<br />

begraben. Weißt du, was das heißt? Du hast vielleicht der Menschen Orgelspiel gehört, allein<br />

der Erde Orgelspiel noch nicht vernommen. Du hast vielleicht der Erde Orgelspiel gehört,<br />

allein <strong>des</strong> Himmels Orgelspiel noch nicht vernommen. ...<strong>Das</strong> bläst auf tausenderlei<br />

verschiedene Arten. Aber hinter all dem steht noch eine treibende Kraft, die macht, daß jene<br />

Klänge sich enden, und daß sie alle sich erheben. Diese treibende Kraft: wer ist es? 291<br />

Doch wie könnte ich ihre Übereinstimmung gelten lassen, ohne ihre Nicht-<br />

Übereinstimmung ernst zu nehmen; oder gar aus einem Nicht-Übereinstimmen am Ende ein<br />

Übereinstimmen machen; oder etwa mich als einen unter den Schriftstellern verehren lassen<br />

俎豆予于作者之間, und nur aus diesem Grund die Übereinstimmung proklamieren?<br />

Unter den Jüngern von Lao Dan war ein gewisser Geng Sang Chu, der sich die Lehren <strong>des</strong><br />

Lao Dan angeeignet hatte und sich im Norden niederließ am Schreckhornberg. (Hier folgt die<br />

bildhafte Beschreibung seiner Wohltaten; d.V.)<br />

Da sprachen die Leute am Schreckhornberg untereinander: ...Er ist wohl ein Heiliger.<br />

Wollen wir ihn nicht zu unserem Schutzgott machen und ihm Opfer und Gebet darbringen?<br />

Meister Geng Sang Chu hörte davon...da sprach er: Ich habe gehört, daß der höchste<br />

Mensch wie ein Leichnam weilt im Kreis der Mauern seines Hauses und dennoch bewirkt,<br />

daß alle Leute fröhlich durcheinanderwimmeln wie eine Herde und nicht wissen, wohin sie<br />

sich wenden sollen (mit ihren dankbaren Gefühlen). Nun ist das geringe Volk vom<br />

Schreckhornberg so eigensinnig darauf aus, mich mit Opfern und Gaben zu ehren als einen<br />

Weisen; aber bin ich der Mann, der für eine solche Stellung paßt?... 292<br />

Durch die erste Anspielung verschmelzen die „treibende Kraft“, die die sphärischen<br />

Geräusche, denen sich der Meister in selbstlosem Lauschen völlig hingibt, ins Schwingen<br />

bringt und die rund dreihundert Stücke <strong>des</strong> Shi jing, die allgemein als Urbild der Dichtung<br />

galten zu einer metaphorischen Einheit. „Tausenderlei verschiedene Arten“ <strong>des</strong> Erklingens,<br />

die für den Lauschenden keine einzelnen Ursachen mehr haben, werden zur Erklärung der<br />

formalen und inhaltlichen Divergenz der frühesten chinesischen Anthologie, mit deren so<br />

interpretiertem Wesen wiederum das Wesen der Dichtung an sich gleichgesetzt wird.<br />

Darauf ist die Abwandlung <strong>des</strong> Zitates - an der Stelle, wo der Leser Schriftsteller (zuo<br />

zhe) liest, erwartet er den „Weisen“ (xian ren) - ein Kunstgriff, durch den die, in der Form<br />

wie <strong>Jiang</strong> <strong>Kui</strong> sie vorbringt, absichtlich überraschende Forderung, sich von jedem stilistischen<br />

Alignement mit anderen fernzuhalten, philosophisch-ethisch verankert wird. Auf den<br />

291 zitiert nach Wilhelm, siehe oben<br />

292 wie oben<br />

159

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