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Das Werk des Dichters Jiang Kui - AsiaRes

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seiner Schrift „Über philologische Erkenntnis“, „daß einzig die Betrachtungsweise dem<br />

Kunstwerk ganz gerecht wird, welche die Geschichte im Kunstwerk, nicht aber die, die das<br />

Kunstwerk in der Geschichte zu sehen erlaubt.“ 110 Poetische Ausdrucksformen - zu denen die<br />

Gattung shi im weitesten Sinne zu rechnen ist - sind zwar auch historisch gewachsene<br />

Phänomene ihres Zeitgeistes, aber sie werden in erster Linie geprägt vom Geist <strong>des</strong> Künstlers,<br />

einer individuellen Größe also, die sich historisch nie ganz einordnen läßt.<br />

Auch wenn Hu Yunyi mit den Aussagen, die das oben zitierte Urteil begründen sollen,<br />

richtig liegen mag, wenn also die shi der Song-Dichter im Vergleich mit ihren Vorläufern, die<br />

gleichzeitig auch als Vorbilder dienten, aus späterer Sicht deren vier klassische<br />

Themenbereiche – „Elend <strong>des</strong> Krieges“, „Elend <strong>des</strong> Volkes“, „weibliche Klage über die<br />

Vergänglichkeit der Jugend“, „männliche Klage über die Kürze <strong>des</strong> Lebens“ 111 - emotional<br />

nicht mehr auszuschöpfen vermochten, folgt daraus nicht unbedingt ein Unterschied der<br />

künstlerischen Qualität. Der ästhetische Wandel bestimmt erst jene Maßstäbe, an denen sich<br />

das Urteil zu orientieren hat, wenn es die Dichtung als Ausdruck eines existentiellen<br />

Bewußtseins versteht. Konkreter formuliert: selbst wenn es den Anschein hat, als würde die<br />

Song-Dichtung jene „klassischen“ Inhalte, die von den Tang-Dichtern bereits voll ausgeprägt<br />

worden waren, mitunter nur in ihrem Repertoire weiterführen, ohne dabei die emotionale<br />

Tiefe <strong>des</strong> Ausdrucks, für die die Tang-Dichter berühmt geworden sind, konservieren zu<br />

können, so ist dies alles andere als fehlende dichterische Qualität, sondern zunächst nur der<br />

Ausdruck einer Grundstimmung, die das individuelle wie das geschichtliche <strong>Das</strong>ein der<br />

Dichter und ihrer Zeitgenossen trug.<br />

In dieser Grundstimmung galt ältere Dichtung - die der Tang insbesondere - zwar als<br />

durchaus vorbildlich und nachahmenswert, ebenso ausgeprägt war aber auch das Bewußtsein<br />

für das notwendig Einmalige in der künstlerischen Widerspiegelung der Wahrheit. Damit<br />

waren aus Sicht der meisten Song-Literaten dichterische Wahrnehmung und deren<br />

Ausdrucksformen zwar zunächst auf intensives Verstehen literarischer Traditionslinien<br />

angewiesen, hatten sich aber im entscheidenden Moment innerer Reife und<br />

Vervollkommnung von deren feststehenden Formen und Inhalten zu lösen, um in ein neues,<br />

wiederum einzigartiges poetisches <strong>Das</strong>ein zu finden. Einstweilen mag hier die Bemerkung<br />

genügen, daß auf einem solchen Hintergrund der allgemeine Umbruch ästhetischer Maßstäbe<br />

auch noch aus heutiger Sicht ernstzunehmen ist, und daß ein bloßes Abschätzen der Song- an<br />

110 Szondi, Peter; 1978, Bd.1; S. 275 Die Geltung von Szondis Feststellung für die westliche<br />

Literaturwissenschaft der 90er Jahre zeigt sich an ihrer Wiederholung bei Burdorf (1997, S. 214).<br />

111 Hu, Yunyi; S. 5-7<br />

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