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Das Werk des Dichters Jiang Kui - AsiaRes

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Liu gibt seiner Geschichte zum Abschluß noch einen moralischen Sinn, indem er - wohl mit<br />

Bezug auf das eigene Schicksal - beklagt, daß der Esel seine Fähigkeiten nicht konsequent<br />

verborgen habe, dann wäre er doch vom Tiger für immer verschont geblieben. Die Fabel, auf<br />

die <strong>Jiang</strong> <strong>Kui</strong> anspielt, hat also in sich bereits einen ironischen Kern, denn die Frage, worin<br />

eigentlich das größere Übel liege, in der Dummheit <strong>des</strong> Esels oder aber in der Raublust <strong>des</strong><br />

Tigers, die ihm auch das größte Entsetzen nicht ganz aus dem Kopf schlagen kann, bleibt<br />

letztlich offen. Der Vergleich der menschlichen Gesellschaft mit einer Raubtierwildnis, in der<br />

der nicht mit List und Skrupellosigkeit Begabte nichts zu melden hat und sich nur durch<br />

völligen Rückzug in sich selber retten kann, liegt nahe.<br />

Eher als die sprichwörtliche sollten wir die literarische Bedeutung, die die tiefe Ironie<br />

enthält, ernstnehmen; und das nicht nur, weil <strong>Jiang</strong> <strong>Kui</strong> und seine Leser als Literaten weniger<br />

ein - vielleicht auch damals noch gar nicht kursieren<strong>des</strong> - Sprichwort im Sinn gehabt haben<br />

dürften. Eine feine Ironie durchzieht die Beschreibungen sämtlicher Phänomene und<br />

Ereignisse dieses Gedichtes von vorne bis hinten. Sie gibt sich besonders an der Bizarrheit<br />

der beschriebenen Phänomene zu erkennen, die mit dem historischen Geschehen bzw. der<br />

politischen Lage, auf die sie sich beziehen, nie ganz sinnvoll übereinstimmen. Wir haben bis<br />

zu dem Moment, wo das Ich selber in Aktion tritt (Vers 45) eine anhaltende Diskrepanz<br />

zwischen dem, der die Berichte vom Hören-Sagen wiedergibt und denen, deren eigene<br />

Berichte es sind. Letztere werden bis Vers 30 nicht extra genannt, doch die Phänomene der<br />

Drachenschar und <strong>des</strong> Esels wurden anscheinend von einer anonymen Person aus Shanyang<br />

wahrgenommen, die außerdem dadurch auffällt, daß sie das „Wassernuß-Lied“ 采菱 singt.<br />

Damit wird hier letztmalig auf die Chuci verwiesen, wo diese Melodie dem weltflüchtigen Qu<br />

Yuan beim ziellosen Wandern am Flußufer in den Mund gelegt wird. 484 Anspielungen auf die<br />

Chuci dienten innerhalb <strong>des</strong> Zyklus ausnahmslos zur Bestimmung einer <strong>Das</strong>einslage, eines<br />

ziellosen und bisweilen verzweifelten Unterwegsseins in einer unberrechenbaren, ungewissen<br />

Außenwelt, das der irrenden Wahrheitssuche <strong>des</strong> Qu Yuan vergleichbar scheint. Sollte<br />

demnach der Dichter hier von sich selber sprechen, wo er doch mit Shanyang den Ort, an dem<br />

er im Zeitraum, von dem hier die Rede ist, wohnhaft war, ausdrücklich nennt? Diese Frage<br />

muß zunächst verneint werden, denn in der anschließenden letzten Strophe schaltet sich ein<br />

Ich direkt ein, das in diesem Fall bisher die Rolle eines fiktiven (Nach-)Erzählers gespielt<br />

hatte und sich nun vorgeblich selber auf den Weg macht, um den Spuren <strong>des</strong> Geschehenen<br />

vor Ort nachzugehen. Dieses Ich steht dem Dichter zweifellos am nächsten, läßt aber kaum<br />

durchblicken, welche Motivation es dazu bewegt, den mysteriösen Erscheinungen, die zuletzt<br />

484 In der Dichtung „Zurückrufung der Seele“ (Zhao hun) <strong>des</strong> Song Yu; vergleiche: Chuci bu zhu; 351<br />

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