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Das Werk des Dichters Jiang Kui - AsiaRes

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heißen, daß die Dichtung zwar Können erfordert, aber nicht einfordert. Die Dichtung braucht<br />

nicht den Dichter, sondern umgekehrt. Technische Raffinesse, Virtuosität zeichnen<br />

keinesfalls ein Gedicht aus, sondern wiederum nur den Dichter. <strong>Das</strong> Gedicht glänzt gleichsam<br />

durch die Unbewußtheit, Unabsichtlichkeit mit der es dem Dichter (und später dem Leser,<br />

Zuhörer) begegnet und ihn in ein klären<strong>des</strong> Erwachen (wu) ruft. <strong>Das</strong> Paradoxon, auf dem<br />

somit die Wahrnehmung <strong>des</strong> Schönen zu beruhen scheint, ist zwar im kulturhistorischen<br />

Kontext aus der buddhistischen und daoistischen Tradition herleitbar, findet aber dennoch<br />

vergleichbare Ursprünge in der westlichen Ästhetik. Als eines der einprägsamsten und<br />

bekanntesten Beispiele wäre hier Kleists Prosastück „Über das Marionettentheater“ zu<br />

nennen. Absolute, göttliche Bewußtheit und absolute, mechanische Unbewußtheit scheinen<br />

ineinander überzugehen wie „Anfang“ und „Ende“ eines Kreises, in dem der Mensch als<br />

bewußtes und zugleich unbewußtes Wesen eingeschlossen ist. In dem „mechanischen<br />

Gliedermann“ ist alles verkörpert, was Feinsinn und Virtuosität <strong>des</strong> Kunsthandwerks<br />

vermögen. Jener „junge Mann“, der nach einem Bad im Spiegel seine eigene Schönheit<br />

erkennt und ihrer auf diese Weise verlustig geht, verkörpert die zunächst unbewußte<br />

Schönheit, die durch das Bewußtsein zerstört wird und aus sich selber nichts mehr vermag:<br />

Wir sehen, daß in dem Maße, als in der organischen Welt die Reflexion dunkler und<br />

schwächer wird, die Grazie darin immer strahlender und schöner hervortritt. 336<br />

Krisenerlebnisse, wie sie von Yang Wanli in seinen Vorworten häufig beschrieben<br />

werden, bringen mit sich, daß die zielgerichtete Selbstreflexion in der Sprache „dunkler und<br />

schwächer“ wird, sie führen in die Orientierungs- und Lustlosigkeit. <strong>Das</strong> Versinken in<br />

„Siegellack und Tinte“, also in den Engpässen eines kleinlichen Büroalltags, steht bei Yang<br />

für den Fatalismus <strong>des</strong> frustrierten Beamten am Rande einer Depression. Mechanisch,<br />

erblindet für alles Schöne, werden die Tage abgespult. Erst das „Erwachen“, ein mystischer<br />

Vorgang ohne aktive Teilnahme <strong>des</strong> denkenden Ichs, verändert den Blick auf das Sein, indem<br />

es eine Verbindung zwischen seinen Extremen, der Auseinandersetzung mit der toten<br />

Materialität und der Selbstvergessenheit göttlicher Inspiration öffnet.-<br />

Eine systematische Ordnung der dreißig Abschnitte ist nicht durchweg erkennbar, doch es<br />

fällt immerhin auf, daß in den ersten Abschnitten - 1 bis 9 - die objektiven Qualitäten und<br />

Maßgeblichkeiten <strong>des</strong> Gedichtes vor Augen geführt werden. Dabei erklärt Abschnitt 2 die<br />

formale Komposition <strong>des</strong> Gedichtes nicht umsonst in Analogie zum Organismus eines Tieres<br />

336 Heinrich v. Kleist; „Sämtliche <strong>Werk</strong>e“; München 1957; S. 830<br />

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