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Das Werk des Dichters Jiang Kui - AsiaRes

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Herzen, als er plötzlich den sprechenden Vogel bemerkte. Entsetzt wagte er nicht, näher zu<br />

treten. 600<br />

Der unerfahrene junge Literat wird von dem Papagei als Freier anerkannt und <strong>des</strong>sen<br />

Ausruf, den jener als Warnung mißdeutet, ist in Wahrheit das Zeichen für die Mädchen, sich<br />

bereit zu halten. Die Szene ist in der Geschichte der entscheidende Moment, in dem Li es<br />

nichtsahnend verpaßt, die Richtung seines Schicksals zu ändern und darauf in sein Verderben<br />

steuert. Auch im “Yangzhou-Traum” ist ja entscheidend, daß der junge Du Mu die<br />

Gelegenheit verpaßt, das Mädchen seiner Wahl zur Frau zu nehmen und so rückblickend<br />

seine freie, mit schwärmerischem Umherziehen verbrachte Jugend als vertane Zeit betrauern<br />

muß. Auf diesem Hintergrund können wir verstehen, daß hier die Tragik <strong>des</strong> verpaßten<br />

Entscheidungmomentes der eigentliche Gegenstand der Reflexion ist. Die ursprünglichen<br />

Kontexte der Erzählungen, auf die sich die beiden Anspielungen beziehen, deuten zwar<br />

verschieden tragische Entwicklungen nach dem entscheidenden Versäumnis an. Aber gerade<br />

durch diese inhaltlichen Widersprüche kommt dem kurzen Moment der Entscheidung, das<br />

beide beinhalten, um so größere Bedeutung zu. In Vers 16 klingt diese Episode denn auch<br />

folglich mit einem Bild aus, in dem das unwiederbringlich Vergangene auf einer allgemein-<br />

metaphorischen Ebene angedeutet wird: die prächtigen Wolken 彩雲 sind besonders in der<br />

ci-Dichtung ein häufig verwendetes Bild für schöne Frauen und die Träume, die deren<br />

Anblick aufkommen läßt. 601<br />

Die daraus folgende Resignation erscheint plausibel, die letzten Verse geben ihr aber<br />

einen besonderen Charakter, indem das sinnliche und erotische Moment mit einer<br />

Anspielung, die diejenige auf das Gedicht <strong>des</strong> Li Yu (Vers 8) mehr oder weniger sinngemäß<br />

wiederholt, in der Vorstellung noch einmal kurz auflebt. Abermals wird hier der Lyrik die<br />

Prosaliteratur vorgezogen, wenn der Dichter seiner Melancholie allusiv Ausdruck verleiht.<br />

<strong>Das</strong> Zitat in Vers 19 stammt aus dem Anekdoten- und Geschichtenkompendium “Youyang-<br />

Sammlung” (Youyang za zu) <strong>des</strong> Duan Chengshi (803-863). Liu Sifen gibt in seinen<br />

Anmerkungen zum Gedichttext die entsprechende Textstelle, die die Szene eines Gelages zu<br />

fortgeschrittener Stunde beschreibt, wieder:<br />

Es war einmal ein Gelehrter, der während eines Gelages einer Frau zuschaute, die<br />

tanzend sang: ‘Im Nu sind die Bogenlenden der Tänzerin vergessen, / Umsonst fängt sich in<br />

Mottenbrauen der herbstliche Raureif.’ Er fragte sie, was es mit den Bogenlenden auf sich<br />

habe. Da gab die Sängerin lachend zurück: ‘Habt ihr mich noch keine Bogenlenden machen<br />

600 Shi jie shu ju; Tang ren chuan qi xiao shuo ji; Taibei 1985; S. 78<br />

601 vergleiche dazu Liu, Sifen; S. 91, Anmerkung 6<br />

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