29.10.2013 Aufrufe

Das Werk des Dichters Jiang Kui - AsiaRes

Das Werk des Dichters Jiang Kui - AsiaRes

Das Werk des Dichters Jiang Kui - AsiaRes

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Durch die Syntax beider Verse im Chinesischen wird das gleichzeitige Ins-Bild-Setzen<br />

einer natürlichen Stimmung und einer menschlichen Verhaltensweise - während bei<strong>des</strong><br />

dennoch nicht recht zusammenpassen will - noch spürbarer. Die ersten zwei Schriftzeichen<br />

von Vers 3 und die letzten drei von Vers 4 ergeben zusammengelesen einen Fünf-Silben-<br />

Vers, der den natürlichen Anblick vollkommen beinhaltet: Etliche Gipfel...bei Zwielicht im<br />

Regen (shu feng...huang hun yu). Bitter-klar (qing ku) läßt sich, ebenso gut wie auf Etliche<br />

Gipfel (shu feng), auch auf ergründen (shang lüe) beziehen - und daraus ergibt sich die zweite<br />

Sinnebene innerhalb <strong>des</strong> Verspaares, die über die den Bergen angedichteten menschlichen<br />

Züge ins Spiel gebracht wird: Ein sich von der Außenwelt fast hermetisch abschließen<strong>des</strong>,<br />

strenges Nachgrübeln, <strong>des</strong>sen Gegenstand wiederum unter der ersten Bildebene - der<br />

landschaftlichen - verschwindet und geschickt mit dem Nahen <strong>des</strong> Regens bei Zwielicht<br />

vertauscht wird. Auf dieser zweiten Sinnebene beinhaltet die Strophe also neben dem<br />

Landschaftsszenario eine Geisteshaltung, die sich in den natürlichen Vorgängen ohne Ziel<br />

zurechtfinden will. Die geistige Beziehung zwischen Mensch und Natur, bei Lu Guimeng eng<br />

mit daoistischen Vorstellungen verknüpft, wird in dem Bild fragmentarisch, ohne klare<br />

Zuordnung von Subjekt und Objekt, angedeutet. Ein Bild also für die erfolglose Suche <strong>des</strong><br />

gegenwärtigen <strong>Dichters</strong> nach dem einstigen, <strong>des</strong>sen zeitüberragen<strong>des</strong> Wesen letztlich<br />

unnahbar bleibt und sich in der Weite einer großen Landschaft verliert?<br />

Ausdrücke wie qing ku und shang lüe springen beim Lesen der Verse 3 und 4 direkt ins<br />

Auge und zeigen, daß die Motivik <strong>des</strong> Rückzugs und der geistigen Abgeschiedenheit Einfluß<br />

auf die Beschreibung der Landschaft hat. Allerdings - wenn man so will - fehlt ihr der<br />

Gegenstand, denn die natürlichen Vorgänge - das ziellose Forttreiben der Wolken, das<br />

abendliche Herannahen <strong>des</strong> Regens - bedeuten an sich nicht vielmehr als das, was geschieht<br />

und was zu sehen ist. Mit dieser geschärften Sicht können auch die Verse 1 und 2 nochmals<br />

genauer gelesen werden. Die beiden Verse enthalten nämlich den lang tradierten und hier<br />

übernommenen Ausdruck „Wolken ohne Ziel“/ „ziellose Wolken“ (yun wu xin / wu xin yun),<br />

der zumeist als Symbol für innere Befreiung, einen gelösten Zustand <strong>des</strong> Gemüts jenseits<br />

niederdrückender Sorgen steht. 432 <strong>Das</strong> Aufheben einer inhaltlichen Zäsur zwischen beiden<br />

Versen (Synaphie), das sich, wie zu sehen war, in Vers 3 und 4 wiederholt, ist hier das<br />

432 Der Nachweis zweier bedeutender Stellen in den <strong>Werk</strong>en der hier bereits mehrfach genannten Dichter Tao<br />

Yuanming und Liu Zongyuan mag zur Veranschaulichung genügen. So ist das Couplet „Ohne Ziel steigen die<br />

Wolken über Bergkämmen auf / Vom Fliegen müde wissen die Vögel den Weg nach Haus“ (yun wu xin er chu<br />

xiu / niao quan fei er yhi huan) in Taos berühmtester Dichtung, dem fu „O Heimkehr!“ (Gui qu lai xi ci; Lu,<br />

Qinli; S. 161), ein Ausruf <strong>des</strong> Glücks über die wiedergefundene Freiheit in der Heimat und mit dem Schlußvers<br />

seines Gedichtes „Der alte Fischer“ - „ziellos fliehn sich Wolken über Klippen nach“ (wu xin yan shang yun<br />

xiang zhu) - vollendet Liu Zongyuan das Bild <strong>des</strong> Fischers und der Landschaft, das, weil jede Bewegung in ihm<br />

ohne Subjekt und ziellos vonstatten zu gehen scheint, keiner Ergänzung mehr bedarf und für nichts als sich<br />

selber steht.<br />

229

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!