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Das Werk des Dichters Jiang Kui - AsiaRes

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Kein Bild könnte den Gedanken der absichtslosen und in ihrer Wandelbarkeit dennoch<br />

kontinuierlichen Entsprechung von Form und Substanz besser begleiten als das <strong>des</strong> Schattens.<br />

Die Dynamik seiner Veränderungsmöglichkeiten ist unausschöpflich; und darin wird ihm hier<br />

die Sprache gleichgesetzt. Auch ihre Möglichkeiten lassen sich keineswegs am bereits<br />

vorhandenen, schon abgestreiften Formenreichtum messen, ergeben sich erst aus einer<br />

„blinden“ Notwendigkeit, die selbst der Absicht auf die Dichtung Grenzen setzt.<br />

Die Übersetzung der entscheidenden Textstelle bei <strong>Jiang</strong> <strong>Kui</strong> rückt vom Wortsinn bewußt<br />

ab, da hier mit den Ausdrücken 有見乎詩 (you jian hu shi; wörtlich: „die Dichtung als real<br />

ansehen“) und 無見乎詩 (wu jian hu shi: „die Dichtung als nicht-real ansehen“) auf eine<br />

buddhistische Terminologie angespielt wird, die in diesem Kontext keine direkte Übersetzung<br />

nahelegt. 298 Gemeint ist schlichtweg die Relevanz bereits bestehender, dichterischer Formen<br />

und Inhalte für die Absicht <strong>des</strong> Autors. Bewegt diesen vor allem der „fromme“ Wunsch, die<br />

schon anerkannte Existenz der Dichtung durch sein persönliches <strong>Werk</strong> fortzsetzen, oder<br />

scheint für ihn Dichtung gar nicht zu existieren, als wäre er ihr künftiger Urheber? Die<br />

scheinbare Wertung, durch die der Text die beiden Möglichkeiten unterscheidet, hebt sich in<br />

Wahrheit durch eine De-facto-Gleichberechtigung beider auf. Denn zwar genügt das Vorbild<br />

der Alten alleine nicht, um ihm tatsächlich gerecht zu werden, doch auch umgekehrt benötigt<br />

der Wille ohne Absicht - das Nicht-nicht-...-können - eine Vorstellung, um sich zu realisieren.<br />

Der Schatten wäre ohne das „reale Wesen“, <strong>des</strong>sen Wandel er unabsichtlich folgt, zwar nicht<br />

denkbar, seine Existenz ist aber gerade <strong>des</strong>wegen unabhängig vom Gegenstand, an dem er<br />

scheinbar haftet, weil auch dieser einem universalen Gesetz der Abhängigkeit folgeleistet.<br />

Dieser doppelsinnige Gedanke ist für <strong>Jiang</strong> <strong>Kui</strong>s Poetik, die im Anschluß zu behandeln<br />

sein wird, von grundlegender Bedeutung, weil er den Ansatz bietet, die beiden unvereinbaren<br />

Extremforderungen einer sprachlichen Durchformung <strong>des</strong> Gedichts bis in die Einzelheiten<br />

und einer Befreiung <strong>des</strong> Gedankens aus jeder formalen Einengung, stilistisch geltend zu<br />

machen. Es ist zu betonen, daß <strong>Jiang</strong> <strong>Kui</strong> - im Gegensatz zur Auffassung Shuen-fu Lins - zu<br />

diesem Widerspruch weder eine theoretische, noch eine praktische Lösung anbietet. Für ihn<br />

bleibt er, wie für seinen Mentor Yang Wanli, bestehen, ohne aber zur Erstarrung zu führen,<br />

denn diese überkommt nur die jeweiligen Stilformen, die anfangs aus diesem Grund vom<br />

Wesen der Dichtung klar unterschieden wurden. Erst nachdem solchermaßen der Gedanke<br />

von der Absicht auf eine bestimmte Form abstrahiert wurde, geht <strong>Jiang</strong> <strong>Kui</strong> zu einer<br />

metaphorischen Umschreibung der idealen Dichtung über, die er über die Anspielung auf eine<br />

298 Die beiden entgegengesetzten Möglichkeiten etwas für real oder nicht-real anzusehen - you-wu er jian (ind.:<br />

Bhavabhava) - gelten als Ursprung aller Irrtümer. Ein Ausgleich ist, nach der Lehre der Madhyamika-Schule,<br />

nur über den „Weg der Mitte“ (zhong dao), also durch Offenlassen, zu erreichen. (Vergleiche: Soothill; S. 214)<br />

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