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Er war an eine Grenze des sinnenhaft Wahrnehmbaren gestoßen,<br />

die zu Formeln erstarrten Farbspiele wirkten wegen ihres koloristischen<br />

Kalküls kalt. Nur einige seiner Blätter und Gemälde schienen<br />

in ihrer Bildharmonie Meisterwerke; in ihnen hatte er den Kontrapunkt<br />

einer neuen Ästhetik gefunden: wo Farbe, Ton und das Lyrische<br />

der Sprache einen geheimnisvollen Zusammenklang ergaben.<br />

Nie war es dem Maler gelungen, die Gesetze dieser Harmonie zu<br />

ergründen, sie blieben ihm verborgen und entzogen sich seinem<br />

System. Seine Farbkompositionen hatten den Reiz der geistvollen<br />

fünfstimmigen Madrigale des 16. Jahrhunderts und den Zauber des<br />

Märchens vom Pfirsichblütenquell des chinesischen Lyrikers Tau-<br />

Yan-ming.<br />

Die Routinevernehmung der Untersuchungskommission im Atelier<br />

des Malers hatte ein völlig unerwartetes Ergebnis. Der Maler hatte in<br />

den Jahrzehnten, in denen er im Haus K. 29 lebte, Aufzeichnunen<br />

gemacht, über die Straße, die Menschen, über alle die Menschen, die<br />

in den Jahrzehnten in der Strasse lebten. Auf diese Weise war ein<br />

geradezu dokumentarisches Werk entstanden, mit zahlreichen<br />

Zeichnungen, die in ihrem skizzenhaften Charakter eine lebendige<br />

Szenerie der Strasse darstellten. Die ausführliche Beschreibung der<br />

Strasse, der Menschen und ihre sonderlichen Welt, die Illustrationen<br />

zu den Schilderungen in ihrer entlarvenden Charakteristik waren<br />

unübertrefflich und von einer literarisch-künstlerischen Qualität, die<br />

den Maler als bedeutenden Satiriker der Feder und des Zeichenstifts<br />

auswiesen.<br />

Der Untersuchungskommission verhalfen die Aufzeichnungen des<br />

Malers zu einer Einsicht in eine menschliche Landschaft, die für<br />

Kriminalisten eine Fundgrube darstellten. Die Kommission erhielt<br />

durch den Blick der künstlerischen Beobachtung ein Kaleidoskop<br />

von Momentaufnahmen, die mehr aussagten als alle bisher durchgeführten<br />

Vernehmungen von Verdächtigen und Zeugen in der Mordsache<br />

K 29. Die Strasse und ihre Bewohner raren gleichsam die<br />

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