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Es war dann wie damals: Marletta, die 'Unbefleckte', wie sie auf<br />

einem der in ihren jungen Jahren gemalten Bilder in der Erinnerung<br />

lebte, war eine von den Leuten der Straße, sie lebte mitten unter<br />

ihnen und doch anders; in dem Gedicht eines ihrer literarischen<br />

Freunde wurde sie gepriesen als die Dienende und Herrschende, die<br />

Sanftmütige, die Duldsame und Hingebende, die Mystikerin der<br />

Liebe. Der Dichter nannte sie in seinen ametrischen Dithyramben<br />

'Tagpfauenauge', den dunklen Falter der Göttin Satis.<br />

Wenn über den Dächern der Strafe die Nacht einbrach, ging ihr<br />

Stern auf. Marletta sprach an den späten Abenden bis tief in die<br />

Nacht Verse ihrer Dichterfreunde; es waren gesponnene Gedanken,<br />

hinge¬schriebene Worte der kurzen Stunde zwischen Tag und<br />

Abend. Sie sprach die Verse mädchenhaft scheu, leise, nicht melodisch<br />

und weich, die Worte kamen akzentuiert und eigenwillig im<br />

Stakkado. Ihr Auf¬tritt an den Abenden im 'Kokon' im Kreis des<br />

Musenvolkes der Künst¬ler, der Dichter und ihres Anhanges war<br />

heiter, feierlich, fromm, frivol, wie die Verse, die sie rezitierte.<br />

Manche Verse, die ihr gefielen, trug sie immer wieder vor, bis sie alle<br />

kannten und in den literarischen Blättern gedruckt wurden. Marletta<br />

bestimmte den poetischen Kurswert ihrer Zöglinge, sie hatte einen<br />

feinen Sinn für Poesie und urteilte sicher. Sie war es, die den Versen<br />

Maß und Melodie gab.<br />

Keines der Gedichte war vollendet, wenn Marletta es zum ersten<br />

Mal vortrug. Sie änderte, scheinbar unbewußt, die Worte und auch<br />

die Zeilen, gab ihnen einen neuen Sinn durch Wendungen, die den<br />

Versen Fülle und Glanz gaben. Die Poeten der Straße verdankten<br />

Marletta diesen Glanz, der in den Nächten im 'Kokon' aufleuchtete;<br />

es war, wie das Leuchten eines Kristalls, der durch Spalten, Zersägen<br />

und Zerbrechen die gewünschte >Form erhält und durch Schleifen<br />

und Po¬lieren im Facettenschliff sein magisches Licht empfängt.<br />

Oft auch trafen sich die Künstler, die Dichter und ihr Anhang bei<br />

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