01.11.2013 Aufrufe

Der Jahrhundertbetrug

Der Jahrhundertbetrug

Der Jahrhundertbetrug

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

können wir die Propaganda von Ende 1942/Anfang 1943 als den<br />

Ursprung der 6-Millionenzahl annehmen. Das völlige Losgelöstsein<br />

jener Zahl von allen wie immer wahren Tatsachen spiegelt sich wider<br />

in Reitlingers ausgefeilten Entschuldigungen für seine Ansicht, daß<br />

er sich nur auf 4,2 bis 4,6 Millionen Juden festlegt, fast alle aus<br />

Osteuropa, die im Zweiten Weltkrieg umgekommen seien, wovon ein<br />

Drittel an „Überarbeitung, Seuchen, Hunger und Elend“ gestorben<br />

sei. 35 Doch sind Reitlingers Zahlen gleichermaßen fast losgelöst<br />

von allen wirklichen Fakten.<br />

Keineswegs ist erstaunlich, daß sich jemand nach dem Krieg<br />

gefunden hat, um in Nürnberg zu erklären, daß die Propagandazahl<br />

zutreffend sei. Höttl war in der Tat eine angemessene Wahl, da er<br />

einer von jenen stereotypen „Diensttuenden“ war, an denen die Welt<br />

des Nachrichtendienstes krankt. Geboren 1915 trat er 1938 in den<br />

SD ein und erwarb sich bald einen Ruf, amtliche mit persönlichen<br />

Geschäften zu verbinden. Er tat sich mit einer befreundeten<br />

polnischen Gräfin zu Geschäften im polnischen Landbesitz<br />

zusammen, was 1942 zu einer SS-Untersuchung geführt hat. <strong>Der</strong><br />

Untersuchungsbericht bezeichnete ihn als „unredlich, ränkeschmiedend,<br />

kriecherisch . . . ein wahrer Schwindler“ und schloß<br />

damit, daß er sich nicht einmal für die Mitgliedschaft in der SS eigne,<br />

ganz zu schweigen von einer so empfindlichen Organisation wie dem<br />

SD. Dementsprechend wurde er zum Mannschaftsgrad degradiert.<br />

Doch die dann Anfang 1943 folgende Berufung seines<br />

österreichischen Landsmannes und Wiener Bekannten Kaltenbrunner<br />

zum Leiter des Reichssicherheitshauptamtes scheint sein<br />

Geschick gewendet zu haben. Er stieg bis zum Kriegsende in den<br />

Rang eines Obersturmbannführers auf und spielte in der Auslandabwehr<br />

eine verantwortliche Rolle. Nach dem Krieg arbeitete er bis<br />

1949 für den US-Abwehrdienst, indem er Ex-SS-Leute als<br />

Informanten aufstellte. Es heißt, er habe es geschafft, diese Aufgabe<br />

ziemlich lukrativ zu gestalten. Nach 1949 tauchte er in dem<br />

Schlangenpfuhl der Wiener Politik des Kalten Krieges unter und<br />

unterhielt Verbindungen mit Neo-Nazis, Sowjetagenten und<br />

nahezu jedem anderen. Eine besonders enge Beziehung hatte er mit<br />

einem Sowjetagenten Kurt Ponger, einem naturalisierten US-Bürger,<br />

den er kennengelernt hatte, als Ponger noch Übersetzer beim IMT<br />

war (Kurt Ponger, die gleiche Person wahrscheinlich, war außerdem<br />

Anwalt der Anklage in Fall 4 — NMT). Höttl geriet beim<br />

Verber-Ponger Spionage-Fall von 1953 in Verdacht und wurde von<br />

US-Dienststellen im März in Wien verhaftet, aber wenige Wochen<br />

später wieder entlassen. Mitte der fünfziger Jahre veröffentlichte er<br />

zwei Bücher über seine Kriegserlebnisse (unter dem Pseudonym<br />

Walter Hagen). Im Jahre 1961 unterschrieb er der Anklagevertretung<br />

für den Eichmann-Prozeß eine eidesstattliche Erklärung (im<br />

wesentlichen die gleiche wie seine IMT-Erklärung). 36<br />

Verfasser meiner Richtung haben geschrieben, daß Höttl im<br />

Krieg ein Agent der Alliierten gewesen sei. Das trifft nicht zu. Das<br />

einzig Zutreffende an dieser Behauptung ist, daß Höttl gegen Ende<br />

des Krieges in Kontakt mit Allen Dulles vom OSS (Office of<br />

Strategie Service, einem amerikanischen Auslandsnachrichtendienst)<br />

in der Schweiz gestanden hatte. Dies aber war ein Teil<br />

seiner Aufgabe; das Reichssicherheitshauptamt war mit dem<br />

Versuch befaßt, eine günstige Beendigung der Feindseligkeiten zu<br />

102

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!