01.11.2013 Aufrufe

Der Jahrhundertbetrug

Der Jahrhundertbetrug

Der Jahrhundertbetrug

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

europäischen Staatsmann oder einen kosmopolitischen Schwärmer, einen<br />

Doppelagenten oder Opportunisten oder gar für einen Seher. Es wird den<br />

Lesern nicht leichtfallen, hier ihre Entscheidung zu treffen.“<br />

Es mag dabei nicht gerade nebensächlich sein, wenn Colvin in<br />

seinem 1951 erschienenen Buch Otto John als einen von „Canaris’<br />

Busenfreunden“ bezeichnet. John war der Abwehrmann in der so<br />

überaus wichtigen neutralen Hauptstadt Lissabon während des<br />

Zweiten Weltkrieges. Nach dem Krieg wurde er der Leiter des<br />

Bundesamtes für Verfassungsschutz der Bonner Regierung, wurde<br />

jedoch 1956 als Sowjet-Agent entlarvt. 34<br />

Zu ungefähr der Zeit, als Heydrich zum Stellvertretenden<br />

Reichsprotektor von Böhmen und Mähren ernannt wurde, scheint er<br />

das Spiel von Canaris durchschaut zu haben. Alle neueren<br />

Untersuchungen laufen darauf hinaus, daß auch Canaris dies offenbar<br />

gespürt und London hiervon informiert haben dürfte. Denn<br />

es ist auffällig, daß die Engländer gerade zu diesem Zeitpunkt seiner<br />

Karriere — angeblich zufällig — ihn beseitigen ließen, indem sie zwei<br />

Meuchelmörder mit Fallschirmen in Böhmen-Mähren absetzten. In<br />

Übereinstimmung mit dem allzu gewöhnlichen Drehbuch für<br />

politische Meuchelmorde (z. B. Abraham Lincoln und John F.<br />

Kennedy) sollen die angeblichen Mörder beseitigt worden sein,<br />

bevor sie eine Gelegenheit bekommen haben würden, auszupacken.<br />

Zum allgemeinen Erstaunen wurde Anfang 1943 der verhältnismäßig<br />

wenig bekannte und weniger ehrgeizige Dr. Ernst<br />

Kaltenbrunner als Nachfolger Heydrichs eingesetzt. Offensichtlich<br />

von dem Wunsch beseelt, die Wiederholung einer solchen Situation,<br />

wie sie sich mit R. Heydrich entwickelt hatte, zu vermeiden, behielt<br />

sich Himmler eine verstärkte persönliche Kontrolle über die Gestapo<br />

und den SD vor, und er übte sie nun stärker aus als bisher. Trotzdem<br />

blieben beide Einrichtungen formell dem Chef des RSHA<br />

unterstellt, der jetzt eben Kaltenbrunner hieß. Außerdem wurde<br />

Kaltenbrunner noch eine besondere Aufgabe von Himmler zugeteilt :<br />

einen Geheimdienst des SD aufzubauen. Es war eine besonders<br />

günstige Zeit für Himmlers Entscheidung insofern, als Canaris im<br />

Februar 1944 seines Amtes enthoben worden war, ohne daß seine<br />

Verräterei voll enttarnt war. Auf einen besonderen Erlaß Hitlers<br />

wurden jetzt alle militärischen und politischen Geheimdienste dem<br />

RSHA unterstellt. Damit wurden alle geheimdienstlichen<br />

Aktivitäten unter dem SD-Chef Schellenberg zusammengefaßt.<br />

Canaris wurde nach dem 20. Juli-Attentat verhaftet und kurz vor<br />

Kriegsende hingerichtet.<br />

Die Verwaltung der Konzentrationslager unterstand dem WVHA<br />

(Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamt), dessen Chef SS-Obergruppenführer<br />

Oswald Pohl war. Wie seine Bezeichnung bereits aussagt,<br />

befaßte sich das WVHA mit wirtschaftlichen Aufgaben der SS und<br />

war in erster Linie mit der Bereitstellung von Lagerinsassen als<br />

Arbeitskräfte befaßt. Die Lagerkommandanten gaben ihre Meldungen<br />

an das Inspektorat der Konzentrationslager, das dem SS<br />

Oberführer Glücks unterstand, der seine Berichte an Pohl weitergab.<br />

Pohl berichtete dann an Himmler und war dienstrangmäßig mit<br />

Kaltenbrunner gleichgestellt.<br />

Vor dem Kriege hatte die deutsche Regierung alle Hebel in<br />

Bewegung gesetzt, um die Auswanderung der Juden aus Deutschland<br />

35

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!