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Aufstand in Ungarn

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liest diese Blätter. Die ursprünglich gedruckten Plakate wurden fortgeworfen– diese Menschen wollen mehr als die abgedroschenen Phrasenüber die ungarisch-polnische Freundschaft. Nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges fünf Meterbreites Transparent ist noch sichtbar, es wird von kommunistischenOrganisatoren des Marsches getragen, die den Stimmungswechsel der100.000 h<strong>in</strong>ter sich noch nicht bemerkt haben.Der restliche Verkehr ist e<strong>in</strong>gekeilt <strong>in</strong> die zähfließende Flut. In e<strong>in</strong>erschwarzen, russischen Limous<strong>in</strong>e sitzt der sowjetische Botschafter undmacht sich an den Vorhängen zu schaffen, se<strong>in</strong> silberweißes Haar istzurückgekämmt über be<strong>in</strong>ahe fem<strong>in</strong><strong>in</strong> anmutenden Gesichtszügen.È Mitschlecht verhehlter Wut blickt er h<strong>in</strong>ter se<strong>in</strong>er randlosen Brille hervor. DieMenge hat se<strong>in</strong>en Stander erkannt und ruft antisowjetische Parolen:»Nieder mit der Stal<strong>in</strong>-Statue!«, »Sowjetische Truppen, geht nach Hauseund nehmt die Stal<strong>in</strong>-Statue mit!« Polizeioberst Kopácsi tritt vor, salutiertund hilft der Limous<strong>in</strong>e zu entkommen.Auch auf der Brücke kommt der Verkehr zum Stillstand. Der fünfundzwanzigJahre alte Busfahrer Zoltán Szabó f<strong>in</strong>det sich damit ab, se<strong>in</strong>Depot <strong>in</strong> der Pasaréti utca erst später zu erreichen.Í In den Augen derPartei ist er e<strong>in</strong> Kulak; er durfte die Universität nicht besuchen, so wieTausende der an se<strong>in</strong>em Bus vorbeimarschierenden Studenten; anstelledes Militärdienstes wurde er <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Arbeitsbataillon e<strong>in</strong>gezogen. Er plantübrigens, zusammen mit zwei Kollegen, ebenfalls Busfahrern, dem BaronGábor Josika und József Sándor, <strong>Ungarn</strong> am kommenden Samstag zuverlassen. Aber augenblicklich sitzt er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bus, L<strong>in</strong>ie 39, fest undsieht den Menschenstrom an sich vorbeiströmen. Erst um 18.30 Uhrabends wird se<strong>in</strong> Bus <strong>in</strong>s Depot zurückkehren, und bei der nächsten Fahrtstadte<strong>in</strong>wärts wird die Brücke immer noch blockiert und unpassierbarse<strong>in</strong>.Als die Marschierenden die Margarethenbrücke mit ihremernüchternden Blick auf das Parlament zur Rechten überqueren,verstummen die Sprechchöre allmählich. Kle<strong>in</strong>e Gruppen versuchen, siewieder anzustimmen, werden aber von den anderen zum Schweigengebracht. »Die Stimmung«, sagt e<strong>in</strong> Architekturstudent später, »war noch284

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