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Aufstand in Ungarn

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Büro ist etwa fünfundzwanzig Quadratmeter groß. Von hier aus kann man<strong>in</strong> die Cafeteria schauen. An der Wand gegenüber dem Fenster bef<strong>in</strong>densich e<strong>in</strong>e niedrige Anrichte und Bücherborde, davor e<strong>in</strong> langerKonferenztisch. Ihr Schreibtisch steht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ecke am Fenster, danebenauf e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Tisch e<strong>in</strong> rotes Telephon. Neben diesem Büro liegt e<strong>in</strong>anderes Zimmer, dessen Balkon zur Bródy utca h<strong>in</strong>ausführt, von derbereits wachsender Lärm heraufdr<strong>in</strong>gt.Valéria Benke hat sich Nagys politischen Vorstellungen schon weitgehendangenähert; im Juni hatte sie der berühmten Pressediskussion desPetöfi-Kreises beigewohnt. Aber was wissen die Hunderte von Menschen,die sich <strong>in</strong> der Bródy utca drängen, davon und was geht sie das an? Diewogende Menge hat Sprechchöre gebildet, und <strong>in</strong> dieser engen Straßehallt ihr rhythmisches Rufen e<strong>in</strong>drucksvoll von den Mauern wider. E<strong>in</strong>erote Fahne wird entdeckt und angezündet. Frau Benke tritt auf den Balkonh<strong>in</strong>aus, um die Leute zu fragen, was sie wollen. Aber schon ihre erstenWorte: »Genossen«, fordern wütende Ausrufe heraus: »Wir s<strong>in</strong>d <strong>Ungarn</strong>!«Betroffen tritt sie <strong>in</strong>s Zimmer zurück und überlegt, was zu tun sei.Die Menge ruft: »Wir wollen e<strong>in</strong> Mikrophon hier auf der Straßehaben!«Frau Benke und der Kommandeur der Wache kommen übere<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>enAufnahmewagen h<strong>in</strong>auszuschicken, um die Forderungen der Studentenaufzuzeichnen und dadurch Zeit zu gew<strong>in</strong>nen. Aber die Menge läßt sichnicht täuschen. Sie rufen den Anwohnern zu: »Stellt eure Radios e<strong>in</strong>! Lagtuns hören, ob sie wirklich unsere Forderungen senden!«E<strong>in</strong>e junge Frau <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em roten Mantel spricht die Forderungen <strong>in</strong>sMikrophon. Doch der Rundfunk sendet weiter Musik, und man sieht derMenge an, daß sie nicht mit sich spaßen läßt. »Wir wollen, daß das ganzeLand unsere Forderungen hört!« Die Ton<strong>in</strong>genieure und e<strong>in</strong> ÁVH-Offizier, die sie begleiten, können nur knapp <strong>in</strong> das Gebäude entweichen.Sympathisierende Redaktionsmitglieder, die h<strong>in</strong>ter den oberen Doppelfensternstehen, sehen e<strong>in</strong> junges, rothaariges Mädchen unter den Demonstranten,das ihnen von der Straße her Zeichen gibt, aber sie s<strong>in</strong>d machtlos,sie können nichts tun.294

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