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Edition Rechtsextremismus

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Sonderfall Ost – Normalfall West?<br />

109<br />

Parolen wie „Ausländer raus“ und „Deutsche zuerst“ boten Lösungsmöglichkeiten,<br />

die in Handlungen übersetzt werden konnten und für die Gewaltakteure doppelt<br />

legitimiert erschienen: einerseits durch die Zustimmung in Teilen der Bevölkerung,<br />

als deren ausführendes Organ sie sich fühlten und andererseits durch die<br />

Radikalisierung ihrer Zuwanderungsfurcht zu einer generellen Überfremdungsangst<br />

(Bergmann & Erb, 1994b). Diese Bedingungen ermöglichten zu Beginn der<br />

1990er die Konsolidierung des rechtsextremen Potenzials in den neuen Ländern<br />

sowie in den folgenden Jahren den quantitativen Anstieg und die Radikalisierung<br />

der Bewegung.<br />

Rechtsextreme Parteien waren bei Wahlen bis in die Mitte der 1990er Jahre in<br />

den westlichen Bundesländern erfolgreicher als in den östlichen. Erst mit der Bundestagswahl<br />

1998 verschob sich der Schwerpunkt gen Osten. Dieser Verlagerung<br />

folgten die rechtsextremen Parteistrukturen (beispielsweise Parteizentrale und<br />

Verlag der NPD) und Organisationsschwerpunkte (Quent, 2012c). Nach der deutschen<br />

Vereinigung herrschte in einigen Teilen Deutschlands eine rassistische und<br />

ausländerfeindliche „Pogromstimmung“, wie die Investigativjournalistin Andrea<br />

Röpke vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages erläuterte (Deutscher<br />

Bundestag, 2013). Während 1990 380 Gesetzesverletzungen mit rechtsextremistischem<br />

Bezug (davon 128 Gewaltdelikte) erfasst wurden, lag die Zahl 1991<br />

um das Fünffache höher. Vor allem rechtsextremistische Brand- und Sprengstoffanschläge<br />

nahmen zu. 1991 und 1992 kam es zu massiven rassistischen Ausschreitungen:<br />

Im sächsischen Hoyerswerda wurden im September 1991 vor Asylbewerberwohnheimen<br />

Molotowcocktails geworfen und Polizeibeamte mit Stahlkugeln<br />

beschossen. Die Ausschreitungen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, wo<br />

über 4.000 Gewalttäter und Unterstützer die Flüchtlingsunterkunft attackierten,<br />

dauerten mehrere Tage an. Schlussendlich mussten die Asylsuchenden aus den<br />

Unterkünften evakuiert werden. Somit hatte der rassistische Mob sein Ziel, ‚die<br />

Ausländer zu vertreiben‘, erreicht. Im ganzen Bundesgebiet folgten Nachahmungstaten<br />

mit mehreren Todesopfern. Am 23. November 1992 wurden im schleswigholsteinischen<br />

Mölln Brandanschläge auf zwei bewohnte Mehrfamilienhäuser<br />

verübt, in deren Folge drei Menschen starben, mehrere Personen erlitten zum Teil<br />

schwere Verletzungen. 1993 wurde in Solingen ein von türkischen Migranten bewohntes<br />

Mehrfamilienhaus angezündet – zwei Frauen und drei Kinder kamen ums<br />

Leben.<br />

Nach der deutschen Vereinigung wurden rechtsextreme Orientierungen in Ost<br />

und West systematisch erhoben und verglichen: Die erste bundesweite Messung<br />

rechtsextremer Einstellungen im vereinigten Deutschland stellte im Frühjahr 1994<br />

in Westdeutschland ein mehr als doppelt so großes rechtsextremistisches Einstellungspotenzial<br />

fest als im Osten. Erst bei einer Folgeuntersuchung 1998 wurden

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