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Edition Rechtsextremismus

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Uwe Böhnhardt<br />

215<br />

was in der neuen Gesellschaft als richtig oder falsch gilt. Die Identitätsentwürfe<br />

der heranwachsenden Generation gestalten sich infolgedessen diffus. Während<br />

die sogenannte Wendegeneration (1970-1975 geboren) ihre Kindheit und Jugend<br />

vollständig in der DDR erlebt, was größtenteils noch eine Identizierung als DDR-<br />

Bürger zur Folge hat, ist die Phase der primären Sozialisation bei der hier in Frage<br />

stehenden Generation fragmentiert. Jana Hensel, Jahrgang 1976, beschreibt sie in<br />

ihrem Roman „Zonenkinder“ als „zwittrige Ostwestkinder“, die im Verschwinden<br />

aufwuchsen, die weder Ostdeutsche noch Westdeutsche waren und deren Leben<br />

aus Abschieden und Brüchen, aber nicht aus Übergängen, bestand (Hensel, 2003,<br />

S. 74, 160). Die Generation Böhnhardts ist zu jung, um in das sozialistische System<br />

verstrickt gewesen zu sein und zu alt, um nichts mehr mit der DDR zu tun gehabt<br />

zu haben. Sie bendet sich damit in einer ähnlichen Lage wie ihre Großeltern nach<br />

dem Krieg, die den Nationalsozialismus zwar miterlebten, aber zu jung waren,<br />

um darin verwickelt gewesen zu sein (vgl. Bürgel, 2006, S. 171). Die sogenannte<br />

Flakhelfer-Generation kennzeichnet einen Habitus des äußerlichen Mitmachens<br />

bei innerer Gleichgültigkeit. Diese Indifferenz gegenüber gesellschaftlichen Erwartungen<br />

kennzeichnet auch die Generation Böhnhardts. Sie erlebt die Ent- und<br />

Abwertung ostdeutscher Biogra en, die Deklassierung der Ostdeutschen zu Bürgern<br />

zweiter Klasse und den darauffolgenden Rückzug ihrer Eltern in eine romantisierte<br />

Ostalgie. Dieses einschneidende Erlebnis lässt ihnen eine pessimistische<br />

Grundstimmung zu eigen werden und erschwert ihnen die Ablösung aus der<br />

Herkunftsfamilie. Die Kinder der Einheitsverlierer rebellieren nicht gegen ihre<br />

niedergeschlagenen Eltern, sondern solidarisieren sich mit ihnen. Ihr Generationshabitus<br />

der Indifferenz bedeutet für die Eröffnung und Schließung zukünftiger<br />

Handlungsräume eine schwache pichtenethische und solidarische Bindung an die<br />

staatsbürgerliche Gemeinschaft.<br />

Die Eltern von Böhnhardt sind Bildungsaufsteiger ins sozialistische Establishment.<br />

Die Mutter gehört als Lehrerin dem (bürgerlich-) humanistischen Untermilieu<br />

an, welches durch Tugenden der protestantischen Ethik, durch gesellschaftliche<br />

Verantwortungsübernahme, Familien- und Traditionsbezogenheit und eine<br />

stark ausgeprägte sozialistische Grundhaltung gekennzeichnet ist (vgl. Hofmann<br />

2010, S. 11). Der Vater ist dem technokratischen Untermilieu angehörig. Efzienzund<br />

Erfolgsorientierung, Streben nach Perfektion und ein technokratisches Weltbild<br />

kennzeichnen dieses Submilieu (vgl. ebd.). Als Angehörige der sozialistischen<br />

Funktionselite fühlen sich die Eltern der DDR verpichtet und verhalten sich deshalb<br />

bis mindestens in die 1980er Jahre äußerlich systemloyal. Zumindest für den<br />

Vater ist aufgrund seiner noch bürgerlichen Erziehung – er verlässt die Schule<br />

noch vor der grundlegenden Schulreform 1959 – und seiner Zugehörigkeit zur<br />

Schicht der ideologisch distanzierten technischen Intelligenz von einer nach innen

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